13. Jahrgang | Nummer 1 | 18. Januar 2010

Hundert Tage Westerwelle

von Erhard Crome

Eigentlich war gedacht, beim Thema Westerwelle entweder diese selbsternannte „Freiheitsstatue“ des deutschen Spätliberalismus beim endlich erreichten Mitregieren zu beobachten oder über die deutsche Außenpolitik unter Schwarz-Gelb zu berichten. Beides fällt schwer. Beim Regieren steht vor allem die Kanzlerin im Lichte – das fällt beim in der Sache gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen auf ein ziemlich graues Mausgesicht – und die anderen sieht man meist nur schemenhaft.

Außer den schneidigen Freiherrn, der jetzt der Kriegsherr ist. Hat er mitgelogen oder nicht? Hatte der geschaßte General die ihm zugeschriebene Verantwortung oder nicht? Darüber geht es in den Medien seit Wochen. Tatsächlich wurde von Seiten des Bundesministeriums der Verteidigung in Sachen Bombardement in der afghanischen Provinz Kunduz am 4. September, bei dem mindestens 142 Menschen, darunter mindestens 40 Zivilpersonen getötet wurden, von Anfang an gelogen. Zunächst dementierte der frühere Minister Franz Josef Jung zivile Opfer ganz; es seien „ausschließlich terroristische Taliban“ getroffen worden, und der Kommandeur vor Ort habe „eindeutige Hinweise“ gehabt, daß es sich bei den Personen in der Umgebung der Tanklaster „ausschließlich um Aufständische gehandelt“ habe.

Als die Lüge offenbar war, wurde Jung als Minister zurückgetreten. Der neue Minister Karl-Theodor zu Guttenberg erklärte die Bombardierung der Tanklaster unter Hinweis auf eine „besondere Bedrohungslage in der Region Kunduz“ als „militärisch angemessen“. Es hätte „zum Luftschlag kommen müssen.“ Ein paar Tage später meinte er, der Luftangriff sei „militärisch nicht angemessen“ gewesen, und löste in seinem Ministerium den langjährigen Staatssekretär, Peter Wichert, und den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, ab. Bereits Ende September 2009 war der Bundeswehr-Oberst Klein, der den Befehl zur Bombardierung gegeben hatte, als Kommandeur des Einsatzbereichs in Kunduz abgelöst worden.

Die Leipziger Volkszeitung berichtete Mitte Dezember, daß das Kanzleramt, hohe Vertreter des Verteidigungsministeriums und Geheimdienstspitzen in die Ereignisse um die Bombardierung in Kunduz bereits vor und nach dem Luftangriff einbezogen waren. Es handelte sich um eine „neue Eskalationsstufe“, die der Kriegsführung durch den damaligen Minister Jung und den Generalinspekteur Schneiderhan bereits im Juli 2009 vorgegeben worden waren: die gezielte Tötung von Führungspersonen der Taliban. In die Lenkung der Bombardierung am 4. September waren denn auch Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und des Kommandos Spezialkräfte (KSK) einbezogen. Hatte das Mandat des Bundestages für den Truppeneinsatz in Afghanistan diese Leute eigentlich vorgesehen?

Ebenfalls Mitte Dezember zitierte die Süddeutsche Zeitung ausführlich aus dem offiziellen NATO-Bericht über das Bombardement. Danach ging es tatsächlich nicht um die Bombardierung der Tanklastzüge, sondern um die Tötung der 60 bis 80 Personen, die sich in jener Nacht in deren Nähe aufhielten, und die für „Taliban“ gehalten wurden, darunter ein paar Taliban-Führer. Die Frage also ist, ob die „gezielte Tötung“ von Personen nunmehr zum Handlungsrepertoire der Bundeswehr gehört, und ob dabei der „Kollateralschaden“ der Tötung von Dutzenden Zivilpersonen hinzunehmen ist. Das ist des Pudels Kern in Bezug auf den Kunduzeinsatz, der sich nun nach mehr als drei Monaten tastender Debatte herauskristallisiert hat.

Im Grundgesetz heißt es im Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da steht nicht: das gilt nicht für Muslime oder nicht für Taliban. Wer „Taliban“ ist, müßte ein ordentliches Gericht nach Maßgabe der Schuld feststellen, nicht ein paar Geheimdienstagenten des nachts beim Lenken von detonationsstarken Bomben. Das ist außer-rechtliche Gewalt, die nach dem derzeitigen deutschen Recht verboten ist. Wer so etwas anordnet, stellt sich außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes. Wenn dies in der Tat im Bundeskanzleramt vorbesprochen wurde, gibt es jetzt nicht mehr nur eine Personalie Jung und eine Personalie zu Guttenberg. Was wußte eigentlich Angela Merkel?

Zu all dem ist von Seiten der FDP nichts zu hören. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hätte eigentlich zu all diesen unglaublichen Dingen der Kriegsführung, die in eklatantem Widerspruch zum Grundgesetz stehen, etwas sagen müssen. Sie hat geschwiegen. Wie auch zum Thema „Vorratsdatenspeicherung“, bei dem sie – als die FDP noch in der Opposition war – sich an der Klage beim Bundesverfassungsgericht beteiligte, weil die Praxis der Aufbewahrung aller Telefon- und Kontendaten aller Bürger dieses Landes diesen den Bürgerstatus nimmt und sie ausnahmslos zu potentiellen Tätern erklärt, und jetzt als Ministerin nicht zu vernehmen war. Wirtschaftsminister Brüderle redet dummes Zeug und zelebriert öffentlich seine Inkompetenz. Und „Entwicklungs“-Minister Niebel steht einem Ministerium vor, das er eigentlich abgeschafft sehen wollte.

Das alles ist die FDP beim Regieren. Westerwelle hat artige Antrittsbesuche als Außenminister im Ausland abgestattet. Nur der in Warschau fand öffentliches Interesse, weil er der erste in der Reihe war. Und Westerwelle hat dort versprochen, die Obervertriebene Steinbach im Stiftungsvorstand der in Rede stehenden Stiftung zu verhindern, weil diese der Versöhnung dienen soll. Mal sehen, wie lange er das gegen die Christdemokraten durchhält.

Das einzige, was diese „bürgerliche“ Regierung vollbracht hat, ist, eine Steuerentlastung für die Besserverdienenden durchzupauken, die von den Schlechterverdienenden am Ende zu bezahlen ist. Das war das hauptsächliche Werk von Westerwelle und seiner Partei im Regieren. Das wird ihren weiteren Zustimmungsverlust nicht verhindern. Zugleich hat Angela Merkel angekündigt, noch viele Jahre weiterregieren zu wollen. Die „Jamaika“-Koalition, bei der dann die Grünen als dritte bürgerliche Partei hinzustoßen, wird gerade im Saarland ausprobiert, um 2013 dann auf die Bundesebene gehoben zu werden. Dann wird die FDP etwas kleiner sein, aber weiter dabei. Und Dabeisein ist schließlich alles.