Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 22. Juni 2009, Heft 13

Planwirtschaft?

von Erhard Crome

»Schwarzer Freitag für MV« titelte die Ostseezeitung. Die Wadan-Werften in Wismar und Warnemünde sind pleite. Diese Werften waren einst Flaggschiffe der DDR-Industrie, dann gerieten sie in den Strudel der weltweiten Verlagerung des Schiffbaus von Europa nach Fernost, hatten aber immer noch genügend Aufträge. Zugleich wurden sie von einem Eigner zum nächsten gereicht; vor einem Jahr landeten sie zu siebzig Prozent bei einer russischen Investmentgesellschaft und zu dreißig Prozent bei einem. südkoreanisch geführten. Schiffbaukonzern. Heuschrecken haben keine Bindung an den Ort, den sie leerfressen; und aus südkoreanischer Sicht ist es in Zeiten der Krise eher besser, wenn die restliche europäische Konkurrenz verschwindet. So gehen nun. 2 400 Werftarbeiter in der ohnehin wirtschaftsschwachen Nordostregion zum Arbeitsamt. Betroffen sind auch 260 Zulieferbetriebe mit insgesamt etwa 2 700 Beschäftigten.
Zugleich haben sich Angela Merkel, der Wirtschafts- und der Finanzminister, mehrere Ministerpräsidenten der Bundesländer und viele weitere hochrangige Personen wochenlang damit befaßt, den Autobauer Opel zu retten. Pfingstsonntag wurden Länderparlamente zusammengetrommelt, um zusätzliche staatliche Bürgschaften für Opel zu beschließen, der Haushaltsausschuß des Bundestages drehte Sonderrunden. Das alles für einen Autobauer, zu dem der frühere Berliner Finanzsenator und jetzige Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin in einem seiner Berliner Abschiedsinterviews gesagt hatte, man solle ihn pleite gehen lassen, weil die verbleibenden deutschen Autofirmen genug Kapazitäten hätten, das auszugleichen. Aber Opel wurde gerettet, eine »deutsche Weltmarke«, während sich keine Merkel und kein zu Guttenberg für die Ostwerften interessiert haben.
Der Kaufhauskonzern Arcandor, zu dem die Kaufhauskette Karstadt und der Quelle-Versand gehören, mußte seinerseits Insolvenz anmelden. Betroffen sind deutschlandweit etwa 56 000 Beschäftigte. Die Regierenden meinten, der Staat solle Banken und Firmen helfen, die durch die Weltwirtschaftskrise bedroht sind, während die Gründe für die Schieflage des Kaufhaus- und Touristikkonzerns länger zurücklägen und hausgemacht seien. Wer entscheidet das eigentlich? Oskar Lafontaine forderte eine staatliche Bürgschaft für die Rettung der Arbeitsplätze bei Arcandor, schließlich sind die Hauptgläubiger die BayernLB und die Commerzbank, die beide. am Tropf der Bundesregierung hängen – man hätte sie also zur Kreditvergabe bewegen können, wenn man gewollt hätte.
Was geschieht hier eigentlich? Nachdem jahrzehntelang staatliche Eingriffe in die Wirtschaft verteufelt wurden, steigt der Staat zum deus ex machina auf. In hektischen Tag- und Nachtsitzungen entscheidet ein junger, smarter Wirtschaftsminister über das Schicksal tausender Arbeitsplätze. Es ist in keinem Falle sicher, daß es genügend fundierte Analysen gibt, weshalb den einen gegeben wird und den anderen nicht. Die Rating-Agenturen jedenfalls wissen nichts; sie haben ja wesentlich zur Herbeiführung der Verhältnisse beigetragen, die zur Weltwirtschaftskrise geführt haben. Dennoch schaffen all diese Entscheidungen veränderte Verhältnisse. So scheint sich zu bestätigen: Ein Staatsmonopol ist »lediglich ein Mittel zur Erhöhung und Sicherung der Einkünfte für Millionäre aus diesem oder jenem Industriezweig, die dem Bankrott nahe sind«. Zugleich »führt der Kapitalismus bis dicht an die allseitige Vergesellschaftung der Produktion heran, er zieht die Kapitalisten gewissermaßen ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen in eine Art neue Gesellschaftsordnung hinein, die den Übergang von der völlig freien Konkurrenz zur vollständigen Vergesellschaftung bildet.« Von wem das stammt? Von Lenin, aus dem Jahre 1916. Vielleicht kommen wir da tatsächlich gerade hin. Wir haben es nur noch nicht gemerkt.