Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 22. Juni 2009, Heft 13

Donald Duck – ein Mahnmal der Sozialdemokratie?

von Bernhard Spring

Donald Duck feiert ein Jubiläum: Der Zeichentrickfilm »Die kluge, kleine Henne«, in dem der sympathische Pechvogel debütierte, wurde vor 75 Jahren erstmals ausgestrahlt, seitdem ist der ulkige Wüterich in Matrosenkleidung nicht nur aus Entenhausen, sondern – rund um den Globus – auch nicht mehr aus zahlreichen Comic-Heften und natürlich nicht aus den Kindheitserinnerungen mehrerer Generationen von Walt-Disney-Liebhabern wegzudenken.
Mit seinen 75 Jahren beweist Donald Duck nicht nur, daß Choleriker spielend leicht ein ansehnliches Alter erreichen können, sondern auch, wie beständig ein Junggesellendasein gefristet werden kann. Denn nach all den vielen Jahren des Werbens ist Donald seiner geliebten Daisy um keinen Schritt näher gekommen, und so lebt er nach wie vor zusammen mit seinen Neffen Tick, Trick und Track in einem reinen Männerhaushalt, arbeitet als Laufbursche in der Entenhausener Margarinefabrik und schlägt sich mit Onkel Dagobert und Nachbar Zorngiebel herum.
Und genau hier liegt die Crux der liebenswerten, weil in ihren kleinen Schwächen allzu menschlichen Familie Duck: Traditionelle, gefestigte Verwandtschaftsstrukturen sucht der Leser in Entenhausen vergebens. Statt dessen stößt er auf lauter familiäre Leerstellen, beispielsweise dort, wo Eltern sein müßten. Nicht nur Tick, Trick und Track müssen so mit ihrem Onkel Donald als gestreßten Erziehungsberechtigten vorliebnehmen, auch Donald selbst hat wenig erfüllende Beziehungen vorzuweisen: Daisy, Dagobert – diese Verhältnisse sind von emotionaler Distanz, Erniedrigung und finanzieller Abhängigkeit geprägt. Donald ist prominentes Opfer einer modernen, in diesem Fall gescheiterten Patchwork-Familie. In dieser Konstellation liegt vielleicht die Ursache für Donalds Jähzorn und sein permanentes Versagen begründet.
Oberhaupt ist die Mehrzahl der Entenhausener Bevölkerung sozial äußerst unbefriedigend eingebunden. So muß sich der Erfinder Daniel Düsentrieb einen Roboter namens Helferlein schaffen, um seine Einsamkeit zu überwinden. Micky Maus, dessen Beziehung zu Minnie sich kaum weiterentwickelt, sucht im Freund Goofy und Hund Pluto eine Ersatzfamilie, und Opa Knack ist als Alleinerziehender heillos, überfordert, was möglicherweise erklärt, weshalb seine Söhne, die Panzerknacker, auf die schiefe Bahn geraten sind …
Entenhausen wird so – wenn auch etwas verzerrt – zum Spiegel der modernen Gesellschaft, die sich weniger über familiären Zusammenhalt als über individuelle Leistung definiert. Zum einen treten durch die losen, oft instabilen Verwandtschaftsverhältnisse Vereinsamung, Frustration und die Unfähigkeit, sozial agieren können, auf. Zum anderen dominiert der selbstverwirklichende Erfolg vor dem Gemeinschaftsgefühl. Während sich Onkel Dagobert dieser Ellenbogengesellschaft anpaßt und so zu finanziellem Reichtum kommt, verweigert sich Donald durch Trägheit und strikte Arbeitsverweigerung beharrlich der einzelgängerischen Leistungsgesellschaft.
Anders als seinen Neffen gelingt es ihm jedoch nicht, sich die Sozialkompetenz zu erhalten; er verkommt zu einem launischen Eigenbrötler, der sich allzuoft auf seiner Hängematte der realen Welt entzieht.
Der soziale Niedergang der Gesellschaft deutet sich in Entenhausen an und nirgendwo deutlicher als in der Figur des Donald. Als Mahnung wirbt er so seit inzwischen 75 Jahren für ein menschlicheres Miteinander und im gewissen Sinne (und äußerst aktuell!) auch für eine soziale Marktwirtschaft. Herzlichen Glückwunsch und – danke!