Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 11. Mai 2009, Heft 10

Pinselheinrich in Berlin WW

von F.-B. Habel

Walter Plathe läßt für sich schreiben. Nachdem er nicht mehr der »Landarzt« ist, hat er noch mehr Zeit zum Theaterspielen. Und weil er sich sehr für das Andenken an den Berliner Zeichner Heinrich Zille engagiert, bat er Horst Pillau (in dessen Erfolgsstück »Der Kaiser vom Alexanderplatz« Plathe vielhundertmal auftrat) erfolgreich um ein »Zille«-Stück.
Damit steht Walter Plathe in einer illustren Reihe. Martin Held verkörperte den legendären Zeichner in den siebziger Jahren in einem ZDF-Spiel. Und in der DDR wurde Werner Bernhardys »Pinselheinrich« gleich zweimal vom Fernsehfunk adaptiert. Walter Richter-Reinick und Kurt Böwe brillierten in der Titelrolle. Die DEFA widmete dem Meister ein sozialkritisches Musical. In »Zille und ick« zeigte Kurt Nolze den Zeichner in seinen besten Jahren, lebenslustig und sozial engagiert. Ob diese Schauspieler zeichnen konnten, weiß man nicht. Aber Heinz Behling konnte es sehr wohl, der den älteren Zille in Klaus Gendries’ Film über Claire Waldoff spielte.
Gendries ist nun auch der Regisseur der »Zille«-Uraufführung im Theater am Kurfürstendamm in Berlin WW. Die Inszenierung wirkt so, als seien sich Autor und Regisseur nicht einig gewesen, was man dem Publikum vorsetzen wollte. Ein kritisches Zeitbild, ein berlinisches Musical oder ein Sozialdrama? Nun ist es von allem ein bißchen geworden. Pillau hat Zilles Lebensstationen aufgefädelt und verschiedene historische Personen zu jeweils einer verdichtet. Er hat die Berliner Späßesammler von Hans Ostwald bis Luise Lemke geplündert und ihre herrlich frechen Redensarten und Witze arrangiert. Und er hat – besonders durch die Gestalt von Zilles Freundin Claire Waldoff – die Gelegenheit ergriffen, einige Berliner Lieder (die meisten von Walter und Willi Kollo) einzufügen.
Aber man wollte sich wohl nicht zu stark ans Publikum »ranschmeißen«, denn von den Gassenhauern wird immer nur mal eine Strophe vorgetragen, manchmal ist mitten im Lied Schluß. Zille wird als netter Papa dargestellt, der sich sozial engagiert, aber politisch nicht binden will. Das mag teilweise sogar zutreffen, wenn man an seine hurrapatriotische Haltung im Ersten Weltkrieg denkt. Doch solche Irrwege werden dem Bühnen-Zille bei Pillau nicht gestattet. Er bleibt einförmig der biedere, redliche Künstler, der zwar Umgang mit leichten Mädchen und schweren Jungs pflegt, aber seiner Hulda stets treu bleibt und höchstens mal einen über den Durst trinkt. Er hat es schwer, sich durchzusetzen; aber Freunde wie Max Liebermann und Claire Waldoff helfen ihm.
Walter Plathe, dem die Rolle auf den massigen Leib geschrieben wurde, tut sich denn auch manchmal schwer damit, die Figur lebendig zu halten. Der Heinrich Zille der Jahrhundertwende ist bei Pillau und Plathe genau derselbe wie der am Ende seines Lebens. Klaus Gendries hat die Claire Waldoff aus seinem einstigen Film dabei, und Maria Mallé schafft es besonders als Hulda, einen richtigen Menschen auf die Bühne zu stellen. Die rothaarige, freche Claire wiederum ist bei der Nachwuchsdarstellerin Luise Schnittert hervorragend aufgehoben, während man sich den als schnoddrig bekannten Max Liebemann weniger steif gewünscht hätte, als ihn Oliver Trautwein spielt. Katherina Lange, unter anderem als Claires Lebensgefährtin Olly, und Reiner Heise, unter anderem als blinder Drehorgelspieler, sind in ihren zahlreichen Chargen unbedingt sehenswert.
»Zille« wird sicherlich ein Berliner Erfolg werden, denn wie heißt es bei Kollo? »Auch Berlin WW liebte sein Milljöh!« Ob sich das Stück in anderen Städten durchsetzen kann, ist offen. Dazu hätte es wohl stärkerer Zuspitzungen bedurft.