Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 25. Mai 2009, Heft 11

Fröhlichsein und leiden

von Henryk Goldberg

Ja, sagte Frau T., und nun könnten wir ja anfangen. Sie würde mir nun, fuhr sie fort, ein paar Begriffe sagen, und ich sollte, ganz spontan, aufschreiben, was mir dazu einfiele. Was mir dazu einfiel, ging ungefähr so: Mist. Ich hasse diese Spiele. Dabei, Frau T. wollte gar nicht spielen, es handelte sich um eine ernsthafte Befragung, und deshalb ging sie auch bald zu ernsthaften Fragen über, Frau T. schreibt eine Arbeit über meine Zeitung. Ernsthafter wird es, für mich, wenn es ein Spiel ist. Gesellschaftsspiele, Psycho-Fragen: Stell dir vor, deine Frau ist eine Farbe, stellt dir vor, du bist ein Wetter, stell dir vor, dein Beruf ist ein Land, alles so was. Grauenvoll. Aber auch diese anderen Spiele mochte ich nie. In der Wendezeit war das manchmal ein Problem. Alle Welt spielte Spiele. Netter Abend, das Wetter, die Wende, die Weiber, der Westen und was machen wir jetzt? Spielen. Und dann erklären, daß man eigentlich kein Spielverderber sei, indessen …
Indessen ist das schon blöd, einen Abend lang zu leiden in der allgemeinen Fröhlichkeit. Und ungefähr das war es. Es bereitet mir beinahe körperliches Unbehagen, über Strategien beim Monopoly und ähnlichen Veranstaltungen nachzudenken. Nicht, weil mir das zu blöde wäre, im Gegenteil. Denn das einzige dieser Spiele, das ich halbwegs ertragen kann, ist das einfältigste: Mensch ärgere dich nicht. Die Komplexität des Grundgedankens ist überschaubar, die Eleganz der Spielzüge erreichbar. Würfeln, raus und weg. Ohne nachzudenken.
Das ist es. Man muß nicht nachdenken. Nichts, beinahe nichts, ist so nervig, wie der Zwang, sich auf Gedanken konzentrieren zu müssen, die Langweile und Ödnis verbreiten. Ich kann nichts dazu, irgendein Es dreht mir dann im Kopf den Saft ab. Deshalb kann ich beim Monopoly nicht nur nicht gewinnen, ich kann nicht mal mitspielen, weil ich mitdenken müßte. Deshalb habe ich die Schule nur unbefriedigend abgeschlossen und die Lehre gar nicht, es waren zu viele Leer-Stellen dabei. Deshalb leide ich in der Bahn, wenn das Ziel noch zwei Stunden entfernt ist und der Mitreisende anhebt, die Psychologie des Schimmelpilzes zu erörtern. Das ist nämlich mein Hobby, müssen Sie wissen, hochinteresant. Finden Sie nicht? Lächeln, nicken, zuhören. Streß. Deshalb liebe ich meine Giesela, das Navigationssystem so: Ich muß mich nie mehr konzentrieren, um einer Karte mit viel Willenskraft die Information abzupressen, wie ich in der großen fremden Stadt Sowieso in die Sowieso- Straße kommen. Weil Giesela das sowieso findet. Und ich folge ihr, brav und ohne nachzudenken.
Wegen dieser mentalen Disposition wissen die Leser noch immer nicht, wo denn nun das Bernsteinzimrner verborgen ist. Ich müßte paar Telefongespräche führen, einen Spaten kaufen, alles so was, das ganze Programm, die Komplettrecherche. Nur um berühmt zu werden. Nur um dann jede Menge Interviews – Tagesthemen, Spiegel, FAZ – geben zu müssen zu einem Thema, das mich nicht wirklich bewegt. Fasching ist auch so ein Spiel. Allerdings, etwas besser ist es ja schon. Weiberfastnacht zum Beispiel konnte ich unbeschnitten die Redaktion verlassen, obgleich meine Schwester anwesend war. Man muß ja nicht mitmachen, aber die passive Teilnahme, die Angst vor pappnasiger Verbrüderung ist auch schon anstrengend. Passiv-Raucher werden massiv geschützt, aber kein Schwein schützt Menschen vor dem Passiv-Frohsinn. Ich habe deshalb Konsequenzen gezogen und flüchte heute in eine unchristliche Gegend. Ach ja, und wenn Sie zufällig das Bernsteinzimmer ausbuddeln sollten: Belästigen Sie bitte nicht mich mit diesem Quark.