Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 25. Mai 2009, Heft 11

Der gefönte Hai

von Erhard Crome

Wahlen in Zeiten der Krise, Wahlen in Zeiten verschärfter Geschichtspolitik. In den fünfziger Jahren gab es einen sowjetischen Witz, dessen Pointe lautete: »Was sich bei uns am schnellsten ändert, ist die Geschichte.« Heute sehen wir, das war keine Eigenheit des Realsozialismus, sondern ist Charakteristikum jeglichen Herrschaftssystems. Je länger das Ende der DDR zurückliegt, desto verbissener werden die Bemühungen, ihre Geschichte auf »Unrecht«, »Diktatur« und »Zwang« zu reduzieren. Eine Vorgabe machte die CDU auf ihrem Parteitag Ende 2008, auf dem sie beschloß, die Geschichte der DDR sei auf »40 Jahre politisches Unrecht« einzudampfen. Damit projiziert sie nicht nur die Probleme der heutigen Lage im Osten Deutschlands auf die Vergangenheit, sondern trachtet zugleich, ihre Mitwirkung im politischen System der DDR zu vertuschen. Mit dem Diktum, Ostdeutsche würden »die Konfrontation mit den Schattenseiten ihrer eigenen Geschichte« meiden (Berliner Zeitung, 9./10. April 2009), stellte der derzeitige Bundeswart für DDR-Deutung, Hubertus Knabe, alle früheren DDR-Bürger unter einen Generalverdacht; nur Umerziehung und Volksaufklärung scheinen da noch zu helfen.
Im Berliner Gropius-Bau wurde zum Jubiläumsjahr eine Ausstellung »60 Jahre, 60 Werke« aufgestellt, in der, so der Selbstanspruch, herausragende Werke der Malerei, Graphik, Skulptur und so weiter präsentiert werden sollen – ohne das Werk eines DDR-Künstlers. Die Ausstellungsmacher meinten, »in einer Diktatur« hätte freie Kunst nicht entstehen können. Und Frau Merkel forderte, nicht aufzuhören, »die Linkspartei an ihrer Haltung zur DDR-Vergangene heit zu messen«. Die DDR sei ein Unrechtsstaat mit dem »dichtesten System der Überwachung« weltweit gewesen. Und sie forderte, die junge Generation noch eifriger das Fürchten zu lehren.
Noch nie in den vergangenen zwanzig Jahren war der von oben geschichtspolitisch verordnete Eifer so groß, zielstrebig solch Verlästerung zu betreiben. Inzwischen drängt sich die dumpfe Ahnung auf, daß – nicht zuletzt angesichts der Ungewißheiten in der derzeitigen Weltwirtschaftskrise, der wachsenden Arbeitslosigkeit, die in ihrem wahren Ausmaß nur bis nach der Bundestagswahl kaschiert wird; und der spürbaren Spannungen in der Gesellschaft – die heute Herrschenden wenig Vertrauen in den Kitt haben müssen, der die jetzige real existierende Gesellschaft zusammenhält, wenn sie ihn aus jener nachträglichen Verlästerung zu gewinncrn trachten: Die Leute sollen auf alle möglichen Ideen kommen, nur nicht darauf, daß Sozialismus eine Alternative sei.
Dies ist augenscheinlich der Kern der CDU-Wahlkampagne. Es nützt also eigentlich nichts, sich zu erregen, denn es handelt sich um eine ausgetüftelt abgefeimte Verunglimpfungskampagne.
Jenseits der schrillen Töne sehen ihre Plakate zur Europawahl eher bieder aus: Arbeiter mit Helm bauen irgendwas auf, wohl so wie die CDU »Europa«. Zur Kommunalwahl in Stuttgart plakatiert sie: »Werte sichern. Zukunft gestalten«. Ob sie Daimler meint, die gefallenen Werte der maroden Banken oder die »Werte« von Heim und Herd, ist nicht sichtbar. Dafür gibt es dort noch ein andres CDU-Plakat mit einem Platz voller Menschen, das verspricht: »Bei uns ist Platz für Lebensfreude«. Das paßt natürlich nicht zu den Leichenbittermienen beim Thema: »Unrechtsstaat«; aber Stuttgart ist weit weg. Und ein bißchen Fröhlichkeit zur Wahl kann ja nicht falsch sein.
Das sieht die SPD offenbar ähnlich. In Stuttgart heißt es: »Mehr Stuttgart für alle«. Soll die Stadt wachsen? Befragte Einheimische konnten nicht sagen, was gemeint sei. Es klingt wie »Freibier für alle«; ihr müßt nur die Sozen wählen. Dafür steht auf dem nächsten SPD-Plakat: »Wir sind besser.« Na, also. Wobei, wie und was der Maßstab sein soll, ist »völlig Wurscht«. So wurschtig sind denn auch die Plakate zur EU-Wahl. Auf dem einen wird DIE LINKE angegangen. Die Gestalt mit lila Schlips hat einen Fön als Kopf: »Heiße Luft würde DIE LINKE wählen«. Angesichts der harten Sachaussagen der SPD wahrlich eine überzeugende Aussage. Fast so gut, wie die Unrechtsstaatsentlarvung der CDU. Aber mit den LINKEN will ja die derzeitige SPD-Führung nichts am Hut haben. Da schadet ihr solch Plakat vielleicht nicht.
Auf dem nächsten SPD-Plakat das ähnliche Motiv, jetzt ein Hai: »Finanzhaie würden FDP wählen«. Aha. Aber hatten die Hedgefonds, die Derivate und all die anderen Spekulationsvariationen des Heiße-Luft-Schwindelfinanzkapitalismus samt Rating ihre Approbation nicht unter »Rot-Grün« erhalten?
Ich will die FDP nicht verteidigen, aber die blonde Frau Koch-Mehrin, die daneben hängt, paßt so schlecht zum Hai. Sie verkündet: »Für Deutschland in Europa.« Das klingt wie: »Für ein deutsches Europa.« Das wäre eine Drohung, käme es nicht von der FDP. Aber für die Finanzhailage in Deutschland ist die FDP nun gerade nicht verantwortlich zu machen. Sie ist im Bund seit 1998 in der Opposition; als sie mitregierte, herrschten noch Kohl, Ruhe und eine andere Ordnung. Hier also die Frage, da mit den Roten nichts soll und mit der CDU es angeblich auch nicht länger geht: Wie will denn der Steinmeier im Herbst Kanzler werden – wenn nicht mit einer »Ampel«? Die hat auch Gelb. Aber was soll uns der FDP-Hai in bezug auf die Europapolitik der SPD sagen?
Dann gibt es noch die dritte Variante; mit der Fünfzig-Cent-Münze: »Dumpinglöhne würden CDU wählen«. Aber regiert nicht die SPD mit der CDU, derzeit und nach wie vor? Andere Löhne, zum Beispiel den Mindestlohn, hätte die SPD mit anderen Mehrheiten im Bundestag beschließen können, wenn sie denn gewollt hätte. Hat sie aber nicht. Jetzt wirft sie der CDU vor, daß sie so ist, wie sie ist. Außerdem sind das wieder deutsche Dinge, keine europäischen; der bundesweite Mindestlohn ist eine Bundessache. Einmal beschlossen, hätte er allerdings auch Folgen für die Lohnbedingungen dieses Landes im europäischen Kontext. Die SPD wirft der CDU also etwas vor, für das sie selbst mitverantwortlich ist. Auch hier aber: Was soll uns das sagen in bezug auf die EU-Politik? Und was bedeutet es für die berühmte »Glaubwürdigkeit« der SPD, wenn nach der Bundestagswahl ohnehin wieder nur »Große Koalition« geht und sie dann weiter mit diesen »falschen Fuffzigern« liiert ist?
Versuchte man eine Aussage in bezug auf die Europapolitik der SPD zu gewinnen, hieße die: »Wir fönen für 50 Cent jeden Hai, der in Europa vorbeikommt.« In diesem Sinne sind die sozialdemokratischen Comic-Gestalten aber immer noch harmloser als ein Regierungskabinett mit Hubertus Knabe und Angela Merkel.