Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 11. Mai 2009, Heft 10

Das Wort und die Zeit

von Mathias Iven

Wohl niemand glaubt heutzutage mehr daran, daß das Leben eines Schriftstellers nur beschaulich sei. Auch mit solch einem Job hat man sich jeden Tag dem Arbeitsmarkt und seinen Unwägbarkeiten zu stellen. Und so sieht es denn selbst im Büro des Erfolgreichen recht eintönig aus: »Ich setze mich, in der Regel morgens, an den Schreibtisch und beginne nach unterschiedlichen Zeitspannen des Nachdenkens ein leeres Blatt mit Worten überwiegend aus der deutschen Sprache zu bedecken.«
Der, der hier seine Arbeitsweise beschreibt, ist Uwe Tellkamp. Sein Turm, dieser mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete, sich auf fast eintausend Seiten entfaltende DDR-geschichtliche Diskurs, steht mittlerweile fest in der literarischen Landschaft. Der eine oder andere wollte an ihm rütteln, doch sein Fundament hält stand. Kritiker suchten sofort nach den Wurzeln von Tellkamps Schreiberfahrung, mutmaßten und verstiegen sich. Tellkamp selbst löste das Rätsel auf. In seiner im vergangenen Jahr gehaltenen Leipziger Poetikvorlesung gewährte er einen kleinen Einblick in seine Werkstatt.
Alles fing mit der nautilus an, seiner »Debüt-Blüte« die »in einer Auflage von sechs Exemplaren und drei Aushängern« erschien. Die Texte des Erstlings wogen schwer – bis heute. Der Autor bekennt: »In meinem ersten Buch ist, glaube ich, im Keim alles enthalten, was mich in Zukunft beschäftigen würde und wohl auch beschäftigen wird, die Vergangenheit, die in der Gegenwart nachglüht, die grundsätzliche Unsicherheit der Existenz nach dem Zusammenbruch der Utopien, die Suche des Menschen nach Sinn und Liebe; Musik und Gift.«
Thomas Mann, Uwe Johnson, Lew Tolstoi, Marcel Proust – natürlich tauchen die Namen der großen Romanciers in des Autors Ahnenliste auf. Aber Tellkamp bekennt sich auch zur Lyrik (selbst wenn ihm diese nicht liegt): »Lyrik, das Musizieren mit Worten, ist per se hochfliegende Kommunikation. Sie ist im Wesen Gesang und stellt sich unmittelbar zur Welt.« Er verweist auf zeitgenössische Autoren wie Durs Grünbein, Friederike Mayröcker oder Thomas Kling, kennt aber auch seine Klassiker: »Goethe ist mir kein Fremder, durch Herkunft und Bildung bin ich mit ihm aufgewachsen.« Allerdings: »Tiefer als Goethe reicht oft Hölder1in.a Der Wert der Lyrik resultiert für Tellkamp aus deren Un-/Vergänglichkeit. »Hin und wieder gelingt es Dichtung, die Zeitlichkeit zu überwinden, den Tod; sie gibt Gedächtnis, sie birgt, sie stiftet den Spiegel für unser wahres Gesicht.« Das Schreiben, die’ Schrift im allgemeinen, »mißt die Zeit mit den Zeigern ihrer Worte«.
Tellkamp hat ein Programm, eine Vision, die der Kunst mehr Aufmerksamkeit verordnet. Kunst heißt für ihn »Erweiterung der Grenzen, Polar- und Urwaldexpedition des Geistes«, »heißt Größenwahn und Widerstand«, heißt aber auch, »so es die Literatur betrifft, Kampf gegen die zunehmende Verluderung der Sprache«. Kunst hat sich dem Subjekt zuzuwenden, dem Individuum, dem »unbändigen Menschen, der sich nicht anerkennt«, dem Menschen, der seine Grenzen nicht kennt, seine Grenzen, »deren tastbare der Körper und deren unwiderruflichste der Tod ist«.
Tellkamp ist nicht weltfremd und sieht in solch einem Anspruch das Problem des Phantastischen: »Kunst ist und fordert Utopie.« Doch selbst, wenn dem so ist, so hat der Schriftsteller seinen Beitrag im Hier und Jetzt zu leisten. Und Tellkamp stellt sich dieser Herausforderung: »Die Zeit in der wir leben, bedarf der Korrektur, und ich versuche, indem ich Menschen beim Leben zusehe und die Waghalsigkeit begehe, sie darzustellen, meinen Teil zu leisten.«

Uwe Tellkamp, Die Sandwirtschaft. Anmerkungen zu Schrift und Zeit, Suhrkamp Verlag Franlifurt am Main 2009, 168 Seiten, 11 Euro