Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 13. April 2009, Heft 8

Rechtskabinett mit Feigenblatt

von Angelika Timm

Am 31. März 2009 wurde in Jerusalem die 32. Regierung Israels vereidigt. Sie ist mit dreißig Ministern die größte in der Geschichte des Landes. An ihrer Spitze steht der Likud-Politiker Benjamin Netanjahu. Im Kabinett vertreten sind neben dem rechts-konservativen Likud die nationalistische Partei »Jisrael Beitenu« (Israel – Unser Heim), die religiös-ultraorthodoxe Partei orientalischer Juden »Schas« (Sephardische Thora-Wächter), die religiös-nationalistische Siedlerpartei »Ha-Bajit Ha-Jehudi« (Das jüdische Heim) und – als »Feigenblatt« – die sozialdemokratische Arbeitspartei.

Die Regierungsbildung basiert auf den Ergebnissen der Knessetwahlen vom 10. Februar 2009. Das Votum hatte – unmittelbar nach dem Gaza-Feldzug und in einer nationalistisch aufgeheizten Atmosphäre – den generellen Rechtstrend bestätigt. Politikbestimmend wurde der Block konservativ-nationalistischer und religiös-ultraorthodoxer Kräfte. Die Parteien im Zentrum und am linken Rand des politischen Spektrums gingen deutlich geschwächt aus der Wahl hervor

Die Tragik: Zu einem Zeitpunkt, da den Israelis und Palästinensern im regionalen und internationalen Umfeld etwas mehr Realitätssinn und Rückendeckung für kompromißorientierte Konfliktlösungen zuwachsen, schuf die Wahl eine schwer überwindbare neue Barriere. Verhandlungen über eine tragfähige Zweistaatenlösung, Schritte in Richtung auf Frieden und Verständigung in Nahost, kooperative Beziehungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn sind erneut in die Feme gerückt. Zu latenten und akuten Sicherheitsängsten der Bevölkerung traten angesichts wirtschaftlicher Einbrüche nun auch noch Ungewißheit und die Furcht vor sozialer Degradation.

Bedeutsam für die Exekutive dürfte das Zusammenspiel von Ministerpräsident, Außenminister und Verteidigungsminister werden. Premier Netanjahu gilt als »Hardliner«, gleichermaßen jedoch als Pragmatiker. Er sprach sich wiederholt gegen die Oslo-Vereinbarungen aus und hatte während seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident (1996-1999) nicht geringen Anteil an deren Scheitern. Der in den USA aufgewachsene Politiker dürfte aus realpolitischen Erwägungen an einem guten Verhältnis zur Obama-Administration interessiert sein und keinen Zweifel daran lassen, daß er »der starke Mann« im Kabinett ist.

Außenminister Lieberman, 1978 aus der damaligen Sowjetunion nach Israel eingewandert, tritt prononciert mit antiarabischen und antireligiösen Slogans auf. Israelische Journalisten zeichnen ihn als »verbalen Rowdy« und »extremen Rassisten«, das heißt, »als Bruder im Geiste des französischen Jean-Marie Le Pen oder des österreichischen Jörg Haider«.

Das politische Profil des Verteidigungsministers Barak hat nur bedingt sozialdemokratischen Zuschnitt; es zeigt ihn vielmehr als machtbewußten ambitionierten Militär. So fallen in seine Ministerpräsidentschaft (1999-2001) der Rückzug von ZAHAL aus Süd-Libanon, das Scheitern der Friedensverhandlungen von Camp David und Taba sowie der Ausbruch der zweiten Intifada. Als Verteidigungsminister der Regierung Olmert verantwortete er den brutalen Gaza-Krieg (2008/09). Die Zukunft der von ihm geleiteten Arbeitspartei, die im Verlauf der letzten 17 Jahre 31 Knessetsitze verlor, dürfte nach dem Eintritt in das Rechtskabinett offen sein.

Koalitionsverhandlungen und Kabinett wurden in der israelischen Öffentlichkeit mit gemischten Geflihlen aufgenommen. Nur dreißig Prozent der israelischen Bürger zeigen sich mit der Regierung einverstanden. Inwieweit Bedenken und Frust die parlamentarische und zivilgesellschaftliche Opposition aktivieren werden, bleibt abzuwarten. Noch liegt Mehltau über dem Land.

Das Prinzip Hoffnung: Eine zunehmende internationale Isolierung kann sich Israel nicht leisten; Netanjahu wird die Spielräume seiner Politik daher realistisch einzuschätzen haben. Die Präsentation der Regierungsagenda gab allerdings noch wenig Anlaß zu Optimismus. Der Premier, so urteilte Haaretz am 3. April, hat »eine goldene Chance verschenkt, im Obama-Stil den Beginn einer neuen Epoche anzukündigen«.

Die Politikfähigkeit der Exekutive wird sich gleichermaßen in der Innenpolitik erweisen müssen. Welche Schritte sind zum Beispiel erforderlich, um die negativen Auswirkungen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise zu minimieren? Die Beantwortung dieser Frage könnte in Kabinett und Gesellschaft zu heftigen Kontroversen führen und in permanente Zerreißproben für die Regierung münden. Zu den drängenden Herausforderungen gehört zudem die Reformierung der israelischen Gesellschaft – Veränderungen des Wahlsystems, Einführung einer Zivilgesetzgebung sowie Erarbeitung eines konsensfähigen Wertekanons (Verfassung). Nicht zuletzt in Bezug auf diese Politikfelder dürfte sich die Regierung ob ihrer gegensätzlichen Akteure als höchst fragil erweisen.

Nicht auszuschließen ist, daß einige Politiker beziehungsweise Fraktionen recht bald die Regierung wieder verlassen werden und Netanjahu die Idee der zunächst verschmähten großen Koalition mit der Kadimah-Partei Zipi Livnis reaktivieren muß. Kurzfristige Fortschritte im nahöstlichen Entspannungsprozeß oder ein produktiver Ausgleich innergesellschaftlichen Widersprüche sind von Netanjahus »Kabine« der Falken« nicht zu erwarten. Es sei dennoch – wie jede andere Regierung auch – an den künftigen Taten gemessen und nicht nur an populistischen Statements.