Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 8. Dezember 2008, Heft 25

2013?

von Bernhard Romeike

Zwischen der Finanzkrise und der Bereitschaft der Wählerinnen und Wähler, die Linkspartei zu wählen, gibt es offenbar keinen direkten Zusammenhang. Jedenfalls weisen die gegenwärtigen Umfragen – Stichwort »Sonntagsfrage« – einen solchen nicht aus. Die Zahlen liegen irgendwo bei zehn, zwölf Prozent. Dies relativ stabil, aber nicht mehr. Man könnte meinen, Lafontaine habe seit langem recht gehabt, und das müsse sich jetzt auch in steigenden Umfrageergebnissen widerspiegeln. Doch dem ist wohl nicht so: In Zeiten der Krise schauen die Wähler offenbar vor allem auf die Regierenden und erwarten, daß diese »etwas tun«. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück scheinen die Helden des Tages, korrekt: Heldin und Held. In Großmedien wird angemerkt, die »Große Koalition« hätte vor der Krise wie eingeschlafene Füße gewirkt, sei jetzt jedoch zu großer Form aufgelaufen und habe gehandelt. Frau Merkel mit entschlossenem Gesicht vor der Kamera, neben ihr der Finanzminister.
Die SPD verweist vor allem auf ihn, wenn sie erinnert: »Opposition ist Mist« und Regieren schön. Steinmeier, der Kanzlerkandidat für 2009, verblaßt da eher. Die Politikwissenschaftler beziehungsweise Parteienforscher sind derzeit ohnehin eher skeptisch, was eine SPD-Kanzlerschaft anbetrifft. Das liegt allerdings auch daran, daß sie noch etwas unsicher in dem neuen Parteiengefüge herumtasten. Das derzeitige Umfragehoch der CDU werde allerdings nicht anhalten, wenn es auf den Wahltag zugeht, und das -tief der SPD ebenfalls nicht. So die Annahmen. Eher sieht es so aus, als sei der Parteienzuspruch gedrittelt: etwa ein Drittel Christdemokraten, ein Drittel Sozialdemokraten und ein Drittel die drei Oppositionsparteien im Bundestag. Von denen wiederum rutscht nach den derzeitigen Befunden keine unter die Fünfprozentklausel, während die Anteile zwischen ihnen innerhalb des Drittels etwas schwanken.
Parteienforschung befaßt sich vor allem auch mit den Möglichkeiten der Regierungsbildung aus dem Parteiensystem heraus. Und die sind inzwischen anders als noch vor wenigen Jahren. Die Kernklientel – idealtypisch bei der CDU das katholische Milieu mit häufigem Kirchgang und bei der SPD das gewerkschaftlich organisierte Facharbeitermilieu – schrumpft; die Wähler haben zunehmend keine »feste Parteibindung«, das heißt, sie wählen dieses Mal anders als beim nächsten oder dem vorigen Mal; bei Bundestagswahlen anders als bei Landtags- oder Kommunalwahlen; gehen mal wählen und mal nicht. Der Wähler, der Lümmel, ist unberechenbar geworden. Man muß ihn umschmeicheln, doch er bemerkt früher, wenn er belogen wird. Das Parteienwesen leidet darunter, daß das Wahlwesen schwieriger geworden ist. Der Antikommunismus schwindet als integrative Klammer des sogenannten bürgerlichen Lagers. Lagerwahlkämpfe sind überhaupt immer weniger machbar, auch wenn die CDU beides – die antikommunistische Karte zu spielen und Lagerwahlkampf zu machen – im Jahre 2009 wohl noch einmal versuchen wird.
Hessen hat gerade gezeigt, daß schon die einseitige Koalitionsaussage eher hinderlich ist: Die FDP will nur mit der CDU, diese nicht mit den Grünen, die wiederum nicht mit der CDU, gern aber mit der SPD, aber alle nicht mit den Linken. So kam es eben nicht zu einer Regierungsbildung: SPD-Grün reichte nicht, Schwarz-Gelb auch nicht; die Grünen wollten nicht der Lückenbüßer für eine schwarz-gelbe Koalition sein und die FDP nicht für eine SPD-grüne; und Koch-Ypsilanti ging sowieso nicht. Damit war alles blockiert, bis auf Ypsilantis Versuch mit der LINKEN, der durch die Gewissensträger verhindert wurde.
Nun kommen die Neuwahlen am 18. Januar 2009. »Leihstimmen« nach dem Motto: »Wählt FDP, damit ein CDU-Ministerpräsident regieren kann!«, wird es nicht mehr geben. Jede Partei muß um ihrer selbst willen gewählt werden, wegen ihres mehr oder weniger überzeugenden oder attraktiven Programms, wegen ihres Personals und/oder wegen ihrer politischen Positionen. Damit weiß der Wähler aber auch weniger als früher, was er für eine Regierung bekommt – es wird erst gewählt und dann geprüft werden, mit wem eine Regierungsbildung möglich ist. Keine Koalitionsaussage zu machen, heißt da für die SPD in Hessen allerdings auch: »Koch muß weg!« funktioniert nicht, und man geht gegebenenfalls in eine »Große Koalition«. So wird der große Wahlverlierer noch zum lachenden Ersten.
Im Bund haben Müntefering und Steinmeier für 2009 eine Koalition mit der LINKEN ausgeschlossen; NATO-Räson und Militäreinsätze stünden dem entgegen, anderes auch, aber mindestens dies. Die Grünen haben in Hamburg ein Segel in Richtung CDU gesetzt; im Grunde sind sie schon jetzt keine linke Partei mehr, nur viele an ihrer Basis haben das noch nicht gemerkt. SPD-FDP-Koalitionen hat es sowieso schon immer gegeben. Dennoch meinen viele Beobachter, eher käme es zur Fortsetzung der »Großen Koalition«. Der CDU mag es gleich sein, ob sie mit »Jamaika« oder der SPD regiert. Für die SPD aber – sie wird 2009 kaum stärker sein als die CDU – steht wohl fest, sie stellt den Kanzler nur in einer anderen Konstellation.
Wenn nach der nächsten Bundestagswahl noch einmal eine »Große Koalition« kommt, wird auf beiden Seiten 2013 kaum der Wunsch da sein, noch einmal eine Legislaturperiode in dieser Verkoppelung dranzuhängen, schon wegen des Kanzlerproblems vor allem bei der SPD nicht. Will sie dann aber nicht von der FDP erpreßbar sein, braucht sie die »rot-rot-grüne« Option; sie muß die Öffnung zur LINKEN enttabuisieren.
Unter der sozialdemokratischen Perspektive werden durchaus schon mal Bedingungen hin- und hergedreht: Die LINKE müsse sich »auf den Boden der Realitäten stellen« und die Frage »Gestaltungsanspruch versus Fundamentalopposition« zugunsten der Gestaltung beantworten, sie müsse ihre Programmatik entsprechend abrunden, und es brauche »ein Godesberg« in bezug auf die Außenpolitik. Dem steht gegenüber, daß die angesichts der Weltfinanzkrise veränderten Umstände es eher erfordern, die politischen Herausforderungen gemeinsam zu definieren, als den verkristen Wirklichkeiten nachzulaufen.
Und vielleicht werden manche 2013 auch ganz froh sein, den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan auf die Forderungen der LINKEN zu schieben. Anderenfalls müßte schließlich eingestanden werden, daß die Entsendung der Soldaten bereits 2002 falsch war.