Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 10. November 2008, Heft 23

Diskussionsbedarf

von Francesca Langer

Die Qualität des deutschen Fernsehens wird dieser Tage wieder einmal diskutiert. Schon lange fragt man sich jeden Tag aufs neue: Was schaue ich mir heute an? Den zeitgenössischen Heimatfilm mit Christine Neubauer als taffes »Vollweib«, eine der amerikanischen Krimiserien mit mystischer Aufklärungstechnik im Großstadtdschungel oder doch lieber den großen deutschen Fernsehmehrteiler? Casting-Show, Doku-Soap oder die Preisverleihung, bei der das Deutsche Fernsehen sich endlich wieder selbst feiert? Dieses Jahr wurde die versammelte Fernseh-High-Society durch den Eklat von Marcel Reich-Ranicki empfindlich gestört, als er das sinkende Niveau des Fernsehprogramms monierte und eine öffentliche Preisannahme verweigerte. Einst »mußte das öffentlich rechtliche Fernsehen informieren, unterhalten und bilden«, doch selbst dort findet man inzwischen Nachrichtensprecher, die während ihrer Ansagen nicht einmal mehr in der Lage sind, den richtigen Fall anzuwenden. Ist es da nicht eine berechtigte Kritik zu sagen, daß das Fernsehprogramm an Qualität verloren hat? Sind Shakespeare und Schiller für das breite Publikum wirklich nicht umsetzbar? Dies hieße doch aber: Wieviel Qualität verträgt der Fernsehzuschauer überhaupt noch?
Anfang des Jahres strahlte das Zweite eine Neuverfilmung von Tolstois Krieg und Frieden aus, die für sämtliche europäische Fernsehsender international besetzt und produziert worden war. Groß vermarktet, wurde dieser vierteilige Fernsehfilm zu einem europäischen Erfolg und zählt sicher zu jenem wenigen im Programm, das heute noch bildet und unterhält. Ist Tolstoi denn soviel einfacher zu vermitteln als Shakespeare oder Schiller? Doch diese Produktion bleibt eine der wenigen Ausnahmen. Statt dessen versüßen uns die Sonntagabendromanzen den Alltag, in denen sich die beiden großen Schauspielkünstler Erol Sander und Francis Fulton-Smith abwechselnd an der Seite von ebenso talentierten Damen gekonnt und vielseitig in Szene setzen. Es entführt uns Maxi Arland auf seinem Musikantendampfer in die Welt des Schlagers und der Volksmusik, und das Private versucht mit Telenovelas, Schuldenberatung oder Talentsuche zu punkten.
In Großbritannien werden klassische literarische Werke wie die der Bronte-Schwestern oder von Jane Austen regelmäßig genial besetzt und preisgekrönt verfilmt, da sie Botschaften enthalten, die heute noch ebenso aktuell sind wie einst. Nicht anders die Agatha-Christie-Bestseller-Krimis, die immer neu aufgelegt und damit auch zu Evergreens des britischen Fernsehens werden. Aber auch neuere Werke wie die von Elizabeth George oder Caroline Graham sind beliebte Vorlagen für TV-Krimireihen. Sollten sich da im »Land der Dichter und Denker« nicht Werke finden lassen, die ebenso gut verfilmbar sind?
Vermutlich fehlt es weniger an Stoffen als an Könnern, die in der Lage wären, dies, wenn auch nicht brillant, so doch gut umzusetzen. Nein, unsere Fernsehanstalten entscheiden sich lieber für »erlebte« Stoffe und bescheren uns so ergreifende Epen wie Dresden, Die Flucht, Die Frau vom Checkpoint Charlie oder unlängst den Streifen Wir sind das Volk, in denen sie dem Zuschauer die angeblich »wirkliche Wahrheit« über diese Zeiten einzutrichtern versuchen. So bleibt abzuwarten ob die aktuelle Fernsehdebatte wirklich etwas verändern wird und positive Früchte trägt in der Deutschen Fernsehlandschaft, oder ob sie als reine Selbstinszenierung des Marcel Reich-Ranicki in Erinnerung bleibt. Eines ist sicher, der nächste große Fernsehfilm mit Veronica Ferres, die redet, als hätte der Zahnarzt vergessen, ihr die Watteröllchen herauszunehmen, kommt bestimmt.