Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 13. Oktober 2008, Heft 21

Bürger gegen Parteien

von Max Hagebök

In den Gazetten dieser Republik sind nach den Wahlen in Bayern und Brandenburg viele kluge Analysen zu lesen. Besonders die Akteure der CSU bekommen eine mediale Aufmerksamkeit, die sonst nur Naturkatastrophen erregen. Die Wahlniederlage der CSU ist das am meisten kommentierte Ereignis. Doch lassen wir die zeitlichen Dimensionen auf uns wirken, dann werden wir schnell feststellen, daß diese Abwahl einer Herrschaftspartei nur eine Fußnote in der Geschichte sein wird. Für das Wohl und Wehe der bundesrepublikanischen Demokratie ist dieser Akt völlig belanglos. Sicherlich ist es recht ersprießlich, Gedankenspiele zu den koalierenden Partnern in München vorzunehmen, aber wird sich deswegen irgendetwas verändern in bayerischen Landen? Natürlich nicht. Die schwarze Republik bleibt in seinen freistaatlichen Grenzen fest im Glauben und standfest auf der Wies’n. Darum verlassen wir die greinenden Becksteins und Hubers und grüßen den Herrn Seehofer, der zur Stunde zwar noch in Berlin ministerial hofiert, aber den Ruf der Berge vernehmend zu denselbigen zu wandern sich aufmacht.
In den Brandenburgischen Gefilden verschob sich auch so manches in der Wählergunst. Da waren die sozialdemokratischen Tugenden und die sozialistischen Ideen wieder modern. SPD und Linke gingen Hand in Hand durchs Ziel und versprachen sich für die Zeit nach den Landtagswahlen die Ehe. Natürlich nicht öffentlich, aber es soll Villen in Potsdams Berliner Vorstadt geben, in deren Gästeräumen der gemeinsame Gang in Preußens Gloria besprochen wird. Warum auch nicht. Dann wäre die Länderehe zwischen Berlin und Brandenburg möglichst komplikationslos zu bewerkstelligen. Doch das ist für diese Wahlbetrachtung zu weit gedacht.
Daß die CDU richtig verlor, ist verständlich und bedarf keiner Kommentierung. Mit den Nazis hängt ein Wermutstropfen in den verschiedenen Kreistagen. Doch werden sie der parlamentarischen Demokratie nicht wirklich gefährlich. Dafür ist der gesunde Menschenverstand zu robust. Möglicherweise wird er aber nicht ausreichen, deshalb muß auch die repressive Gewalt des Gemeinwesens das ihrige dazu tun.
Man könnte die Wahl-Nachlese damit beenden. Doch dies wäre zu schnell gedacht. Denn die beiden Wahlen haben durchaus Potential für eine historische Beachtung.. Da sind zum einen die gestiegenen Wahlbeteiligungen. Das aktive Wahlvolk übertraf das nichtaktive. Das könnte bedeuten, daß die sogenannte Politikverdrossenheit ihren Höhepunkt überschritten hat, daß wieder mehr Bürger mitreden wollen.. Deshalb ist der Gang zu den Urnen kein Beerdigungsritual, sondern besitzt eine reinigende Wirkung für machthungrige Pragmatiker jeder Partei. Die lebenslänglichen Versorgungslaufbahnen als Berufspolitiker sind gefährdet. Der manifestierte Anspruch auf den Erbhof wird abgewählt.
Das hat aber noch eine weitere Ursache. Es sind die überall entstehenden Wählerkonstrukte, die sich – unabhängig von parteilichen Strukturen – zu Machtblöcken entwickeln. Dies ist historisch die Geburt eines politischen Akteurs, der der Demokratie neuen Lebenssaft geben könnte.
Natürlich sind Wählerbündnisse keine Erfindung der beiden Wahlen, aber deren parlamentarische Wucht wächst. Die Freien Wähler in Bayern sind zwar dem konservativen Lager entwachsen, ihre gewonnenen elf Prozent haben aber die CSU die absolute Mehrheit gekostet. Auch in kommunalen Parlamenten Brandenburgs sind die Parteien immer öfter gezwungen, sich Bürgerbündnissen zuzuwenden.
Es entstehen somit unterhalb des Bundestages neuartige Kräftekonstellationen, die nicht mehr nach der herkömmlichen Machtarithmetik einer Parteiendemokratie funktionieren. Mit den Wahlbündnissen sind Akteure im Spiel, die sich inhaltlich klar definiert haben und die statt machtstrategisch lösungsorientiert agieren. Ihre Kompromißfähigkeit ist gering, da es für sie keinen komplexen politischen Zielkorridor gibt. Mit ihnen sind also weniger Gegengeschäfte möglich. Wer mit ihnen regieren will, egal auf welcher Ebene, der lernt den Wählerwillen zu akzeptieren. Eine völlig neue Erfahrung für die Parteien und ihre Vertreter. Bisher konnten sie sich bei nicht gehaltenen Wahlversprechen immer auf den politischen Kompromiß berufen. Dies ist mit den Bündnissen nicht mehr möglich. Deren Selbstzweck ist es, ein Projekt zu sein, zeitlich und inhaltlich begrenzt. Ist dieser Zweck erfüllt, dann löst es sich auf. Für die Parteien verbleibt aber meistens keine Verschnaufpause, da an der Peripherie schon das nächste Bündnis entsteht.
Wenn man unter diesem Aspekt die Wahlen betrachtet, wird das politische Leben spannend. Es werden Menschen den politischen Raum bevölkern, die nicht von der Politik leben müssen und damit weniger erpreßbar sind, weil sie jederzeit den Ausgang finden können. Ein neuer Genius des Politischen.