Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 29. September 2008, Heft 20

Schönreden durch Schlechtreden

von Franz Schandl, Wien

Politik versteht sich gemeinhin als das kritische Geschäft schlechthin. Permanent wird etwas kritisiert. Alle gefallen sich als Kritiker der anderen. Fast könnte man meinen, dort sei wirklich der Ort kritischer Reflexion und Debatte. Weit gefehlt. Das ist nicht Kritik, es geht vielmehr darum, die politische Konkurrenz am politischen Markt zu entwerten. Man will Stimmung für sich und gegen die jeweiligen Kontrahenten machen. Penetranz ist zur sich verschärfenden Ansage geworden. In den War Rooms der Sekretariate rauchen die Colts. Der schlichte Mangel an programmatischer Differenz wird durch Aggressivität der Konfrontation wettgemacht. Selbstaffirmation statt Selbstkritik ist der gängige Modus. Im politischen Geschäft gilt es, von sich immer gut und von anderen immer schlecht zu reden. Das ist eine unerschütterliche Konstituante, Bündnisse und Koalitionen weichen davon nicht ab, sie definieren das »Wir« nur zeitweilig anders.
Substantiell ist Politik Verwaltung statt Gestaltung, Sache statt Inhalt. Mit Geld verteilt sie ihre Werte, und alle wollen etwas haben. So betrachtet, wäre sie grenzenlos langweilig, bloß als Ressource von Belang. Interessant wird sie aber wiederum als Unterabteilung des kulturindustriellen Blocks. Public relations und Medien, Kulturbetrieb und Politik erfüllen sowohl Aufgaben der Lenkung als auch der Ablenkung auf perfide Weise. Was heute an Politik fasziniert, ist weniger, was sie betreibt, sondern wie sie es betreibt, nicht die Mache sondern die Anmache. Die Aufführung der Politiker in Television und Magazin. Kurzum, die kommerzialisierte Show inklusive Showdown. Unablässige Anmache schürt zwar gelegentlich die Verdrossenheit, doch hat diese bisher noch wenig Chancen gegen die diversen Aufmerksamkeiten, die trotzdem erzielt werden.
Politik hat, anders als des öfteren bekrittelt wird, ihre Abgehobenheit weitgehend verloren. Immer deutlicher wird sie zur schlichten Affirmation. Das In-Ordnung-Bringen der Ordnung. In etwas profanerer Umgangssprache könnte man es auch »aufräumen« nennen. Genau das ist ein Grund, warum die Aufräumer, Populisten nennt man sie gemeinhin, sich des öfteren gerade aufgrund dieser Projektion außerordentlicher Beliebtheit erfreuen.
Es ist nicht zu behaupten, daß die Politik der niederen Gefühle die niederen Gefühle der Leute nicht bedient. Andererseits, würden Politiker das ernstnehmen, was sie sich ausrichten oder ausrichten lassen, sie müßten wohl jeden Kontakt zueinander abbrechen. Sie können es also gar nicht ernstnehmen. Was aber alles über die Ernsthaftigkeit der Theatralisierung sagt. Sie ist Talkshow fürs Publikum. »Gib’s ihm!« Es geht somit um die kulturindustrielle Verstänkerung des öffentlichen Lebens. Es ist nicht Wettstreit, sondern eben Konkurrenz, die dort tobt. Was auf den ersten Blick als Entideologisierung deutbar wäre, gibt sich bei genauerem Hinsehen als eine Durchsetzung der Sachzwänge zu erkennen, die eben als mächtige Universalideologie ältere ideologische Reste langsam, aber zielgerecht entsorgt. Das generelle Marktbekenntnis fällt, weil allgemeingültig, gar nicht mehr als etwas Besonderes auf.
Die aktuellen Höhepunkte der Politik liegen im Skandal. Führende Magazine bauen ihre Existenz darauf auf. Investigieren statt analysieren, ist der Leitspruch des Journalismus. Die schlechten Nachrichten sind das Kontrastprogramm dazu, daß grundsätzlich eh alles in Ordnung sei. Skandalisierung ist abgefeimte Affirmation. Sie ist ein Schönreden der Zustände durch Schlechtreden der Mißstände. Konkret wie abstrakt werden diese analytisch auseinander gerissen, so daß die Norm der Normalität um so heller strahlen kann und letztere nur durch Korruption und Delinquenz beschmutzt erscheint. In Gerichten läuft dann ein Ritual, dessen Resultat einige böse Buben (meist männlich) in den Häfen bringt. Der Sieg des Rechtsstaates stellt freilich nie die Frage nach Substanz und Herkunft der inkriminierten Abweichung. Säuberung statt Erkenntnis ist angesagt. Das wirklich Negative dient lediglich als Abstoßungsmoment für das vermeintlich Positive. Daß die Wahrheit in diesem Realszenario untergeht, ist offensichtlich. Normal und Skandal dürfen ja nicht zusammengehen, die Quintessenz des Systems darf ja nicht als solche begriffen werden.
Das Negative wird nicht bloß verdrängt, es darf als spezifische Rekonstruktion einer Zuwider-Handlung wieder erscheinen. In der Prime Time als Krimi, in den Magazinen als Bad News. Mental gleichen sie einem Kick, sie betreffen uns zumeist nicht, aber sie bekriseln uns. Auf jeden Fall gewährleisten sie eins: Sie heben die Quote.