Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 1. September 2008, Heft 18

Pleiten, Pech und Pannen

von Wolfgang Schwarz

Daß es die Idealisten und Patrioten, selbst wenn sie denn immer in der Minderheit gewesen sein mögen, in den Jahrzehnten des Kalten Krieges auch bei der CIA nicht eben leicht hatten, wissen wir spätestens seit Robert De Niros beeindruckendem Streifen »The good shepherd«. Wenn man sich allerdings eine Vorstellung davon machen will, wie fundamental und wie hoffnungslos andauernd der Schlamassel tatsächlich war und ist, dann muß man Tim Weiners 864-Seiten-Wälzer »CIA: Die ganze Geschichte« lesen, für den der doppelte Pulitzer-Preisträger 2007 mit dem National Book Award für Sachbücher ausgezeichnet wurde.
Spezifisches Gewicht erhält dieses Buch nicht zuletzt dadurch, daß hier nicht ein erklärter Gegner von Geheimdiensten oder auch nur der CIA abrechnet, sondern daß vielmehr ein bekennender Befürworter die Anamnese erstellt hat. »Ich bin für Spionage«, so der Autor in einem Interview mit der taz. »Denn wenn ein Geheimdienst erfolgreich ist, kann er Kriege verhindern.«
Weiner steht nicht nur seit zwei Jahrzehnten in der Materie, er hat in den vergangenen Jahren auch … zigtausende gerade erst frei gegebene Dokumente der CIA, des State Department und des Weißen Hauses ausgewertet sowie eine Vielzahl von Interviews mit ehemaligen und mit aktiven Mitarbeitern und Protagonisten der Agency geführt. Seine vernichtende Gesamtbilanz lautet: »Die CIA konnte ihrer Rolle als Nachrichtendienst Amerikas nicht gerecht werden.« In sechzig Jahren hätten »Zehntausende von Geheimdienstbeamten nur kleinste Fetzen an wirklich wichtigen Informationen zusammengetragen«.
Entsprechend lang ist die Liste der wichtigen internationalen Ereignisse, die die CIA, an deren Wiege 1947 die Intention Pate stand, die Sowjetunion und den Vormarsch des Kommunismus in der Welt einzudämmen, »verschnarcht« hat und von denen demzufolge die politische Führung des Landes überrascht wurde. Dazu zählen der erste Test einer sowjetischen Atombombe ebenso wie der Beginn des Korea-Krieges oder die Ereignisse in der DDR 1953 und in Ungarn 1956. Selbst das Heraufziehen des Suez-Krieges von 1956, der sich quasi in der eigenen Hemisphäre abspielte und an dem die NATO-Partner Großbritannien und Frankreich beteiligt waren, entging den Schlapphüten in Langlay.
An dieser »Trefferquote« hat sich bis zum Ende der Systemkonfrontation nichts geändert. Von der Öffnung der Berliner Mauer 1989 wurde die CIA ebenso kalt erwischt wie vom Zusammenbruch der Sowjetunion 1991, der noch kurz zuvor in Analysen der Agency wirtschaftliche Prosperität bescheinigt worden war. Auch in den Folgejahren wurde die Ergebnisqualität der CIA nicht besser, wie die Terroranschläge vom 11. September 2001 besonders drastisch offenbarten.
Weiners Ursachenanalyse für diese Bilanz läuft zum einen darauf hinaus, daß es praktisch zu keinem Zeitpunkt seit Gründung der CIA nachhaltige Bemühungen gegeben hat, einen »klassischen« Nachrichtendienst aufzubauen, der sich – worauf sein Gründungsdokument, der National Security Act von 1947, durchaus abhob – auf das Sammeln, Beschaffen und Analysieren sicherheitsrelevanter Informationen konzentrierte. Vielmehr dominierten stets verdeckte Operationen die Aktivitäten der CIA, und so wurde sie zu einem Synonym für Sabotage, Terror, Putsche und Staatsstreiche, also für die dreckige Seite geheimdienstlicher Tätigkeit.
Dieser Teil der CIA-Bilanz ist ebenfalls lang. Iran 1953, Guatemala 1954 und Chile 1973 sind nur einige Wegmarken, und daß die CIA bei der Ermordung des kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba 1961, von Ernesto Che Guevara 1967 sowie bei diversen Mordversuchen gegen Fidel Castro die Finger im Spiel hatte, ist ebenfalls aktenkundig. Aber selbst in dieser Hinsicht war der Dilettantismus, speziell das vollständige Ignorieren der konkreten Gegebenheiten vor Ort, laut Weiner häufig dominierend, so daß etwa die Agenteneinsätze hinter dem Eisernen Vorhang in den fünfziger Jahren fast vollständig schief gingen und auch größere Aktionen immer wieder zum Desaster gerieten – wie in der Schweinebucht 1961 oder beim Versuch zur Befreiung der amerikanischen Geiseln im Iran 1980.
Zum anderen zeigt Weiners Ursachenanalyse auf, daß die Negativbilanz der CIA noch auf eine weitere Konstante zurückzuführen ist: Praktisch alle amerikanischen Präsidenten seit Harry S. Truman legten viel weniger Wert auf politisch relevante Analysen der Agency. Vielmehr bestärkten sie diese nur noch in ihrer Präferenz für verdeckte Aktionen.
Und nicht zuletzt wurde die CIA bei Bedarf vom Weißen Haus dafür herangezogen, rechtfertigende Geheimdienstberichte für fragwürdige außenpolitische und/oder militärische Aktivitäten der USA zu liefern. Wo Fakten dafür nicht zu finden waren, hat die CIA sie dann gegebenenfalls »produziert« – wie jene Liste von 926 Orten, an denen das Saddam-Regime im Irak angeblich Massenvernichtungswaffen untergebracht hatte. Diese Liste war bekanntlich einer der Hauptrechtfertigungsgründe für den zweiten Irakkrieg und erwies sich im Nachhinein als hundertprozentig falsch oder besser gesagt – gefälscht. Im Sinne ihrer Auftraggeber war die CIA in diesem Fall durchaus erfolgreich, hat damit aber nicht – so Weiners eingangs zitierte These – Krieg verhindert, sondern ermöglicht!
Fast als beiläufigen Kollateralschaden von Weiners Darstellung könnte man die Demontage der zwei Ikonen in der Riege der amerikanischen Nachkriegspräsidenten betrachten – Dwight D. Eisenhower und John F. Kennedy. Sie sind im mehrheitlichen Bewußtsein der amerikanischen Öffentlichkeit nach wie vor eher Lichtgestalten. Bei Weiner erscheinen sie rabenschwarz.
Nur zwei Beispiele: Eisenhower gab den Mordbefehl gegen Lumumba, und Kennedy gab Mordkomplotte gegen Castro in Auftrag.
Die scharfsinnigsten und gründlichsten Kritiker von Mißständen sind häufig nicht die erklärten Gegner eines Objektes, das ihnen so damit behaftet scheint, daß sie allein seine Abschaffung als Ziel vor Augen haben, sondern Befürworter, die dem Objekt selbst offen bejahend gegenüberstehen und es mit dem Ziel analysieren, einen grundsätzlichen Wandel zum Besseren herbeizuführen. Damit ist auch das Verhältnis von Weiner zum Gegenstand seiner Darstellung beschrieben. Weiners faktenreich dokumentierte Ergebnisse hingegen geben keinerlei Veranlassung zu Optimismus im Hinblick auf seine Zielstellung. Dem Autor dieser Zeilen kam ein Wort von Walter Benjamin in den Sinn: »Daß es ›so weiter geht‹, ist die Katastrophe.«

Tim Weiner: CIA. Die ganze Geschichte, S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2008, 864 Seiten, 22,90 Euro