Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 29. September 2008, Heft 20

Der Dieter Bohlen der Publizistik

von Ines Fritz

Am 3. September befand das Kölner Landgericht in einem Verfahren gegen Henryk M. Broder, der Vorwurf gegen Frau Hecht-Galinsky, sie sei eine Spezialistin für »antisemitisch-antizionistische Gedankenlosigkeiten«, habe die Grenze zur Schmähkritik überschritten, »weil im konkreten Kontext der Äußerung die Diffamierung der Klägerin, nicht die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund« gestanden hätte. Diese Begründung trifft ziemlich die Realität, denn Diffamierung ohne Kontext ist typisch Broder.
Nur zehn Tage später erhielt er den mit 5000 Euro dotierten Hildegard-von-Bingen-Preis der Landeszahnärztekammer Rheinland-Pfalz für Journalisten und Publizisten, die sich in besonderer Weise verdient gemacht haben. Wahrscheinlich ist in Broders Augen Antisemit, wer das widersprüchlich findet.
Henryk M. Broder ist ein Simplizissimus ohne Pardon und Moral. Er verurteilt, beleidigt und polemisiert, wo er Gelegenheit dazu findet oder sieht. Juden beleidigt er frontal, Moslems subtil, Linke findet er lächerlich, der Rest sei Antisemiten.
Eine »Meinungsschleuder« und ein »Ungetüm vom Dienst« nannte ihn Christian Geyer in der FAZ. Broder das »ungezogenste Kind«. Christel Mertens stellt in der Neuen Rheinischen Zeitung kühl fest: »Broder, der bekanntlich Muslime unter einen Generalverdacht stellt und sich selbst als Kämpfer für die westliche Freiheit sieht, muß sich fragen lassen, ob er tatsächlich Olmertsche Mittel zur Durchsetzung seines Freiheitsbegriffes im Journalismus fortzuführen gedenkt.« Und Stefan Niggemeyer meint zu Broder: »An manchen Stellen wird der vielfache Zirkelschluß so überzeugend, daß ich wetten würde, daß Broder selbst am Ende die Dinge glauben würde, die er selbst erfunden hätte.« Der so charakterisierte kontert auf Niggemeyers Recherche unter dem markigen Titel »Schweinchen Schlau ermittelt«, um darin zu fragen: »Was also will der Schmock?« Das ist Henryk M. Broder.
Im Spiegel fragte er einst kokett: »Habe ich ein Wahrnehmungsproblem …?« Ja, irgendwie schon, stimmt ihm Knut Mellenthin in der jungen Welt zu: »Der Spiegel-Journalist Henryk M. Broder hat das erstaunliche Talent, scheinbar bekannten Begriffen einen völlig neuen Inhalt zu geben. Am 23. Juni tauchte er in einer Sendung von Report München auf und erzählte: ›Dann gibt es die zweite Holocaust-Leugnung. Das sind Leute, die behaupten, daß Ahmadinedschads Politik für Israel keine Gefahr darstellt. Das heißt, die einigen wenigen leugnen den Holocaust, der passiert ist, und die nächsten bestreiten, daß es im Nahen Osten demnächst einen Holocaust geben könnte. Nach meinem Dafürhalten sind die zweiten viel gefährlicher. Das sind die Antisemiten des 21. Jahrhunderts.‹«
In seiner Originalitätssucht passiert es dem Journalisten mitunter, daß ihm die Logik abhandenkommt. Beispielsweise schrieb er auf der Website PI-News: »Wie wir alle wissen, findet in Palästina ein schleichender Völkermord statt. Gleichzeitig hat sich die palästinensische Population seit Beginn der ›Nakba‹ vor 60 Jahren verfünffacht bis versiebenfacht. Wir haben es also mit dem einzigen bekannten Völkermord zu tun, bei dem die betroffene Population nicht ab-, sondern zunimmt. Wie ist so etwas möglich? Die Armenier und die Juden haben sich dagegen auch nach Jahrzehnten demographisch von den Mißgeschicken ihrer Geschichte nicht erholt.«
Ein »Nahostexperte« erklärte mir, nachdem ich mir zahllose Artikel und andere Äußerungen Henryk M. Broders angetan hatte (und das auch noch freiwillig …), es handele sich bei dem Manne nicht um Zynismus, sondern nur um Sarkasmus. Jetzt hat er Angst vor Moslems und fürchtet um westliche Werte, von denen er nicht genau weiß, wer sie inwiefern bedroht – aber daß sie in Gefahr sind, weiß er genau. Ich denke an Die Welle und grübele: Will da jemand meine moralische Stringenz auf den Apostelgehalt testen?
Man kann viel über Henryk M. Broder sagen, aber nicht, daß er sympathisch ist. Er ist ein unsympathischer Mann und Jude, was alles andere als synonym gemeint ist. In dieser Funktion erteilt er sich die Befugnis, für »politische Inkorrektheit« einzutreten, die ahnungslose Öffentlichkeit vor der »Islamisierung« zu warnen und als Experte in eigenem Auftrag unermüdlich Antisemiten aufzuspüren. Die Definitionshoheit zum Begriff »antisemitisch« hat natürlich er, »weil sonst Antisemiten entscheiden dürften, was Antisemitismus ist« (taz). Wer widerspricht, den erklärt Broder, je nach Geschlecht und Amt, entweder zu »Erben der Firma Freisler« oder zur »hysterischen, geltungsbedürftigen Hausfrau«.
Die Kritik an Henryk M. Broders Schaffen und Werken ist umfangreich und vielschichtig. Den läßt das kalt. Ab und zu pöbelt er, beleidigt oder ignoriert mit der Sturheit eines erkenntnisresistenten verbitterten alten Mannes jegliche Kritik. Aber ich werde mich ebenso stur weiterhin politischer Korrektheit befleißigen, das bin ich mir schuldig.