Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 4. August 2008, Heft 16

Sachsenbrücke – Sachsenpleite

von Harald Kretzschmar

Ach, war das romantisch. Als der Leipziger Helmut Richter dichtete »Über sieben Brücken mußt du gehen«, und erst Karat und dann Peter Maffay nach der Vertonung durch Ed Swillms daraus einen Hit machten – da gingen die Dresdner noch schwermütig über sieben Brücken. Inzwischen fahren viele große schicke Autos. Die brauchen Platz. Die wollen sich über eine achte Brücke frohgemut flink vom einen zum andern Ufer schwingen. So schnell, daß sie nicht mehr rechts und links kennen. Bis sie der nächste Stau unweigerlich bremst. Nun ruft allewege einer »Derf’n die denn das?«. Da werden sie ganz fuchsig. Schließlich gehen alle Werbekampagnen bereits mit dem Welterbe-Titel hausieren.
Jetzt will ihnen alle Welt übel, und ihnen alles wieder nehmen. Dabei gießen sie doch schon in Beton, was werden soll. So, und nicht anders. Basta. Keine Diskussion mehr.
Der erste, der vorlaut nach dem Spruch der UNESCO aus Quebec das Wort nahm, war der ADAC-Vorsitzende von Sachsen. Rechtsanwalt Dr. Köhler-Totzki will den Welterbe-Titel voreilig gleich freiwillig zurückgeben. Im Namen der Autofahrer: Dresden habe den Titel nicht nötig. In den Untergrund gehen mit einer Tunnelvariante? Unzumutbar. Da der König der autofahrenden Untertanen eines diktierten Benzinpreises nun das entscheidende Wort hat, könnte der Freistaat Sachsen ihn gleich zum Botschafter des Landes bei der UNESCO machen. Mal Tacheles reden mit denen, die da für die frischgewählte und schon jetzt genervte Oberbürgermeisterin »unverständlich und ungerechtfertigt« entschieden haben. Arme Helma Orosz, so brüsk ins Amt zu kommen …
Hübsch, welch kultivierter Umgangston da aus der Kulturstadt herausschallt in die weite Welt. Da werden die verkehrsbesessenen Einheimischen wohl bald mit ihren hochmögenden Zugezogenen allein sein. Der Tourist guckt nicht gern zu, wenn zwei sich schlagen. Sich über etwas einig werden, ist leider nicht mehr Dresdner Art. Prominente Künstler sind inzwischen im Dauerclinch mit Staat und Stadt. Das schadet einem Image, das schon zum Stadtjubiläum vor zwei Jahren arg ramponiert war. Der Aufbau der Frauenkirche war der einsame Glückstreffer. Wo eigene Ideen zu städtebaulichen Lösungen gefragt sind, kommt man ins Stottern.
Ein großartig konzipiertes Kugelhaus am Hauptbahnhof ist im Innenhof einer Nullachtfuffzehn-Bebauung versenkt. Am Altmarkt klafft an der Nordseite auf Dauer eine Baulücke. Den Postplatz hat man architektonisch verschenkt und verkehrstechnisch zur Katastrophe geführt. Die mühsam historisierende Neumarktumbauung will eine außer Rand und Band geratene Architektenmafia in der Sichtschneise zur Frauenkirche mit einem nackten Betonklotz versiegeln.
Inzwischen anderswo ansässige Sachsen haben Mühe, ernst zu bleiben und Fassung zu bewahren. Alte Rivalitäten zwischen den Sachsenmetropolen Dresden und Leipzig sind erwacht. Hart ringt man, wer den Rekord an schlimmen Bausünden erringt. Leipzigs unheizbarer Kletterwürfel, genannt Museum der bildenden Künste, breit lagernd auf dem ehemaligen Sachsenplatz, ist sichtmäßig nun dichtgemacht. Der bislang attraktive Blick auf die Katharinenstraße ist bald zugedonnert mit dazwischen gequetschten Fassadenflächen. Der benachbarte Brühl, freigeräumt von urban heiterer, dennoch als DDR-Sünde denunzierter Bebauung, gähnt leer nagelneuer Zuklotzung entgegen. Das Areal des Wilhelm-Leuschner-Platzes dagegen harrt sinnvoller Bebauung seit sechs Jahrzehnten. Ein Tunnel bohrt sich hier mühselig unter der City durch dem sinnlosen Fernziel entgegen, den genialsten Kopfbahnhofbau Europas zu ersetzen. Über die Kosten schweigt des Sängers Höflichkeit, der um seine Bezahlung bangt. Einerseits entsorgte man mit großem Tamtam die Marx-Skulptur vom Universitätsgebäude weit abseits. Andererseits erwägt man allen Ernstes, eine aus Übersee kommende Schenkung einer Plastikatrappe am Stasigebäude »Runde Ecke« als Ehrung für die Bespitzelten zu akzeptieren.
Was ist gegen all das die inzwischen kleingeredete Pleite der Landesbank Sachsen? Georg Milbradt ging nicht in sich, sondern in Ruhestand. Stanislaus Tillich kam, wurde zur Audienz beim Papst empfangen und regiert nun mit höchstem katholischen Segen. Der Kreis schließt sich. Die wettinischen Nachfahren der katholischen Sachsenherrscher wissen nun, bei wem sie ihre Forderungen nach Herausgabe von Kulturgut einklagen dürfen. Wenn der ADAC-Vorsitzende meint, der Titel des Welterbes Kultur zähle nicht, dann nichts wie weg mit den Kostbarkeiten. In die Privathand der Wettiner und weiter auf den internationalen Markt, wo sowieso alles zu verscherbeln ist. Zum Beispiel all die schönen Autos, die sich die Dresdner Einheimischen nach der endgültigen Explosion des Benzinpreises nicht mehr leisten können werden.