von Helmut Höge
Die Russen meinen mit »Kaukasier« nicht dasselbe wie Amerikaner. Wenn an einer neuen Diskothek in Moskau ein Schild hängt: »Keine Betrunkenen/Keine unpassend Angezogenen/Keine Kaukasier«, dann ist das möglicherweise auch eine Spätfolge deutscher Genetik und Rassenpolitik. Im Kaukasus rekrutierte die deutsche Wehrmacht besonders viele Mitkämpfer – gegen die Rote Armee. Armenier, Georgier, Nordkaukasier (unter anderen Tschetschenen) und Aserbaidschaner stellten eigene Kontigente für die »Ost-Legionen«.
Allen voran forcierte Oberst Graf Stauffenberg ihre Aufstellung und ihren Einsatz, weil, wie er meinte, der Krieg nur als ein Bürgerkrieg gewonnen werden könne. Der Käfersammler und Offiziershygieniker Ernst Jünger und der Pflanzensammler und Volkseugeniker Hans Stubbe waren auch vor Ort. Aber Jünger mußte abrupt sein »Kaukasus-Tagebuch« abbrechen und Stubbe seine Expedition abblasen: Die deutsche Armee, die schon die Hakenkreuzfahne auf dem Elbrus gehißt hatte, zog sich nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad zurück.
Doch die Einordnung einheimischer Regimenter, meist in Kriegsgefangenenlagern zusammengestellt, wurde sogar noch verstärkt, weil sich ständig neue Frontlücken auftaten. Zuletzt war jeder vierte deutsche Soldat »fremdländisch«. Die kaukasischen Ost-Legionen ebenso wie die kalmückischen, krimtatarischen, turkestanischen, kosakischen und wolgatatarischen Einheiten kämpften anfänglich noch um die Befreiung ihrer Länder vom Bolschewismus. Aber je demoralisierter die Deutschen heimwärts flüchteten – und sie ihnen, zusammen mit Kind und Kegel, Kamelen und Mullahs, folgten, desto desolater wurden auch ihre Truppenverbände.
Die Wehrmachtsführung setzte sie bei der Niederschlagung der Aufstände in Warschau, der Slowakei, in Norditalien und in Jugoslawien ein beziehungsweise warf sie bei der Landung der Alliierten diesen entgegen. Einzig eine georgische Abteilung, auf der Nordsee-Insel Texel stationiert, verweigerte sich ihrem letzten Einsatz als »Kanonenfutter«. Zusammen mit dem holländischen Widerstand töteten sie die zweitausend deutschen Soldaten auf Texel und kämpften mit zuletzt sechshundert Mann auch noch gegen die auf die Insel geworfenen frischen deutschen Truppen – bis die Kanadier diese schließlich überwältigten.
Die überlebenden Georgier wurden über Wilhelmshaven – wie zuvor zwischen den Alliierten vereinbart – an die Rote Armee ausgeliefert. Zu-nächst kamen sie in russische Gefängnisse, nach Prüfung brachte man sie jedoch nach Tiflis, wo sie als einzige Einheit der Ost-Legionen offiziell geehrt wurden. Weil Holland dann der NATO beitrat, verbot der Geheimdienst den überlebenden Texelanern, ihre georgischen Waffenbrüder in Tiflis zu besuchen. Einmal jährlich wurde dies jedoch umgekehrt den Georgiern gestattet. Alle anderen Teile der fremdvölkischen Divisionen kamen in Arbeitslager, wurden erschossen oder hatten sich in den Wirren der letzten Kriegstage in kleinen Gruppen abgesetzt.
Ein größeres Kontingent der bei der Bekämpfung kommunistischer Partisanen besonders »erfolgreich« gewesenen Ukrainer nahmen die Amis mit heim, wo sie im Vietnamkrieg den Grundstock von Kennedys »Green Berets« bildeten, einige wurden auch als Schutzstaffel bei der »Berlin Brigade« in Westberlin eingesetzt, die wenigen Intelligenzler unter den »Fremdvölkischen« nahm schließlich die CIA bei ihren Radiosendern gegen den Osten in Dienst.
Wir lernen daraus, das heißt aus Stauffenbergs Strategie – eingebunden in einen Vernichtungskrieg –, daß eine Kollaboration mit den Deutschen sich nur in seltenen Ausnahmefällen wirklich lohnt. Auf Stauffenbergs Feierabendtätigkeit, die Ermordung des Führers, hob Heiner Müller ab, als er meinte, es sei typisch für die deutsche Bourgeoisie gewesen: einen Einarmigen mit der entscheidenden Tat zu beauftragen.
An diesem »Problem« scheiterte zuletzt auch die Verfilmung des Stauffenberg-Dramas durch einen geharnischten US-Scientologen, immerhin zeichnete die FAZ und Die Bunte ihn, Tom Cruise, dafür mit einem »Courage«-Bambi aus – beziehungsweise dafür, daß er den sozusagen beruflichen Erfolg von Stauffenberg in seinem Film weggelassen hatte: Spät, aber nicht zu spät, hat dieser nämlich doch noch sein Kriegsziel, einen Bürgerkrieg im Kaukasus zu entfesseln, erreicht.
Die Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch berichtete vor einiger Zeit aus Suchumi, wo 1927 eine Affen-Forschungsstation eingerichtet worden war: »In der abchasischen Hauptstadt wurde die Affenstation bombardiert. Nachts haben Georgier jemand verfolgt und geglaubt, es wäre ein Abchase. Sie verwundeten ihn, und er schrie. Dann sind Abchasen auf ihn gestoßen und haben geglaubt: ein Georgier. Sie sind ihm nach, haben geschossen. Gegen Morgen sahen alle, daß es ein verwundeter Affe war. Und stürzten zu ihm, um zu helfen. Einen Menschen hätten sie umgebracht.«
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