Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 21. Juli 2008, Heft 15

Friedrich und die Hunde

von Renate Hoffmann

Mir war nach Sanssouci. Um diesem Gelüste nachzukommen, fahre ich nach Potsdam. Durchwandere den schönen verschlafenen Park – und verweile bewundernd im Anblick des heiteren Sommerschlößchens über den Weinbergterrassen.
Da mögen trübe Tage sein oder Regenschauer die Parkwege aufweichen, da mag Dürre sein oder Gewittersturm an Bäumen rütteln – sie wird ihr Lächeln bewahren, die kleine Residenz des großen Friedrichs.
Amseln flöten ungeduldig. Im Fontäne-Becken blubbert der Springquell kraftlos und matt vor sich hin und läßt die eingeflogenen Enten enttäuscht im Trockenen stehen. Man traut ihm nicht zu, daß er zu majestätischer Höhe aufsteigen kann.
Die breiten, bequemen, unmerklich geschwungenen Stufen hinauf. In der Schneise zwischen Rebstöcken und Feigenbäumen, die noch das Glasgehäuse schützt, höher und höher – bis zur steingewordenen, durch nichts zu erschütternden Lebenslust an der Gartenfront des Schlosses. Bacchantinnen und Bacchanten sind außer Rand und Band, verschwenden Blumen und Früchte. Taumelnde Begierde, Gelächter – ein wilder Tanz. In Sandstein gebannt vom Bildhauer Friedrich Christian Glume (1714-1752).
Wendet man den Blick von der tollenden Gesellschaft ab nach Süden, so liegen ausgebreitet wie auf einem Tableau Park, Stadt und bewaldete Höhen. Wo hätte der Preußenkönig besser Ruhe finden können. Hier und nirgendwo sonst, wollte er zur Erde fahren, »ohne Pomp, ohne Prunk und ohne die geringsten Zeremonien«, so bestimmte er zu Lebzeiten. Und ließ die Grube ausheben, die er für sich vorsah; damit es kein Deuteln gäbe, wenn er das letzte Geschäft nicht mehr unter Kontrolle hatte.
Man hielt sich nicht daran. Es bedurfte zweihundert und etlicher Jahre, bis Friedrich II. seinen Willen durchsetzen konnte. Seitlich am Ostflügel des Schlosses auf einer Rasenfläche, schlicht und, wie gewünscht, ohne jeglichen Zierat liegt die Grabplatte – und er darunter. Den Hinweis auf seine Anwesenheit gibt einzig die Inschrift: »Friedrich der Große«.
Der große Friedrich (der mit 1,62 m eher von kleiner Gestalt war) wählte sich zu Nachbarn eine Gesellschaft aus, die er, von der historischen »Tafelrunde« abgesehen, besonders schätzte: seine Hunde. Die vor ihm dahingeschiedenen Vierbeiner, elf an der Zahl, sind in zwei Reihen preußisch-ordentlich bestattet und ebenfalls mit einfachen Steinplatten abgedeckt. Ihre Namen – literarisch, mythologisch, dem Wesen gemäß ausgewählt – lassen sich nicht mehr sämtlich entziffern. »Phillis, Alcmene, Diana, Thisbe …« Doch die Rufnamen sind bekannt. Ein Anteil von Friedrichs Berühmtheit ging natürlich auf die Lieblinge über. »Hasenfuß, Superbe, Biche …« Biche übrigens genoß deutlich Vorzüge. Der Hofmaler Antoine Pesne (1683-1757) porträtierte sie; und es wurde ihr erlaubt, mit Friedrich das Bett zu teilen.
Hasenfuß und Alcmene erhielten auf andere Weise ein Ewigkeitstestat. Im Schlaf- und Arbeitsraum steht der König figürlich in Pose, von Johann Gottfried Schadow (1764-1850) modelliert. Über den Fortgang der Arbeit notierte der Bildhauer: »Als Beiwerk werde ich ein paar von den kleinen Windhunden anbringen, qui faisant la distraction du grand Monarque.« Er brachte sie an – und verzeichnete auf den Halsbändern ihre Namen; die obigen.
Jeder Hundebesitzer weiß, daß die eigene Vorstellung von Disziplin und Sauberkeit oftmals nicht im Einklang mit der seiner Tiere steht. Bei Friedrich war es ähnlich. Ein ehemaliger Besucher von Sanssouci schildert das Interieur im Arbeits- und Schlafgemach des Königs. Die Möbel wie auch das Bett seien sehr unsauber; »das rührte von den zahlreichen Hunden her, die der König liebte und die in den königlichen Zimmern hausten.«
Der König dachte nicht daran, ihnen, wenn sie ohnehin überall »hausen« durften, den Zugang zur »Tafelrunde« zu verwehren. Diese tagte zumeist im Marmorsaal.. Adolph Menzel (1815-1905) malte das Milieu. Um den runden Tisch tafeln und diskutieren Friedrichs geladene Gäste. Das 1850 entstandene große bekannte Gemälde »Die Tafelrunde Friedrichs II. in Sanssouci« gilt seit 1945 als nicht auffindbar. Geblieben und zu betrachten jedoch ist in der Berliner Alten Nationalgalerie eine Skizze Menzels zum Gemälde.
Die lebhafte Herrenrunde im Marmorsaal redete sich heiß. Die Tür zum Garten steht offen. Voltaire liegt im Wortgefecht mit dem Schriftsteller und Philosophen Graf Francesco Algarotti aus Venedig. Marquis Jean-Baptiste d’Argens, Freund des Königs und ebenfalls Schriftsteller, unterhält sich mit dem Arzt und Physiker Julien Offray de la Mettrie. Militärs, Literaten, Naturforscher, man kennt sie alle, die Menzel um Friedrich II. plazierte. Doch das Prä im Vordergrund hat – ein Hund.
Vor Biche – ich nenne das Tier eigenmächtig so – steht ein kunstvoll gearbeiteter Hocker im Stile des Rokoko, karmesinrot überzogen in Samt oder Seide und erkennbar ein wenig abgenutzt an manchen Stellen. Auf dem kostbaren Gestühl wiederum sieht man einen Teller, von eben demselben Tafelgeschirr, wie es vor den Herren der Debattierrunde aufgetan ist. Und auf dem Teller – ein appetitliches Stück Bratenfleisch. Biche frißt; erschrickt plötzlich durch eine heftige Bewegung des Herrn in schwarzer Robe neben ihr und weicht zurück. Mag auch sein, daß d’Argens seinen Stuhl zu impulsiv rückte und nicht entfernt an Biches zarte Hundeseele dachte. Die Hündin wird nach der Schrecksekunde weiterfressen, denn das Männer-Palaver ist ihr nicht fremd, und der Braten riecht verlockend.
Nun bleibt zu fragen: Erhielt sie im Diskutierklub ordnungsgemäß als Hausgast eine Mahlzeit serviert, wie es ihr zustand, weil sie ja hier hauste? Oder hatte Friedrich, der stets alles im Blick behielt, über den Tisch hinweg zu d’Argens gesagt (übertragen in moderne Umgangssprache): »Jean-Baptiste, wenn du schon nichts mehr essen willst, stell’ deinen Teller gefälligst dem Hunde hin.. Siehst du nicht, wie Biche bettelt?!«