Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 23. Juni 2008, Heft 13

Kultur & Technik

von Henryk Goldberg

Mit B. ist es manchmal etwas schwierig. Im großen und ganzen ist sie eine angenehme Dame. Aber nach dem Essen weigert sich B. strikt und streng, sich in den Mantel helfen zu lassen. Irgendwann habe ich es begriffen und konzentriere mich seitdem an der Garderobe immer wie Pawlows Hund, der fest entschlossen ist, nicht auf das Signal zu reagieren. Das ist nur eine Frage des Trainings.
Als Mitfahrerin in meinem Auto hätte B. ihre helle Freude an mir. Denn dieses Auto hat mich dazu gebracht – wie B. sagen würde –, die Emanzipation als etwas Ganzheitliches zu akzeptieren. Bei meinem guten alten IK 984, es war das erste Autokennzeichen meines Lebens, bei und vor dem ahorngelben Wartburg also, da konnte ich beim Einsteigen als Demonstrationsobjekt guten Benehmens gelten: die Dame an die rechte Seite des Wagens geleitet, die Tür aufgeschlossen, aufgehalten, am Schlag, so sagt man wohl, gewartet, bis sie Platz genommen hatte, die Tür geschlossen, den Wagen umrundet, die linke Tür geöffnet, Platz genommen.
Das war gar kein so schlechtes Gefühl, und es war allemal ein guter Auftakt für eine Autofahrt, alles waren es zufrieden: Sie wurde behandelt wie eine Dame, er durfte sich fühlen wie einer, der weiß, was sich bei einer Dame schickt, wenigstens soweit es den Straßenverkehr betrifft.
Gut, es roch ein wenig, wenn man hinter einem anderen zweitaktigen Bürger fuhr. Ein gestanztes Stück Pappe – wie hieß es doch gleich? – ach, ja: Zylinderkopfdichtung, konnte den Rang einer mittleren Katastrophe gewinnen. Aber beim Einsteigen, ehe es losging, das war schon schön.
Und jetzt? Jetzt drücke ich den Knopf am Schlüssel, und das Auto ist entriegelt. Und damit fehlt mir, sozusagen, der Vorwand: die verschlossene Tür. Die schon unverschlossene Tür aufzuhalten, das wäre nicht mehr höflich, das wäre  devot, das fühlt sich irgendwie an wie 1910.
Wir sehen also, wie der technische Fortschritt mitunter einen ungünstigen Einfluß nimmt auf das Kulturverhalten des Menschen und auf seine Kulturtechniken auch.
Das Handy ist ein anderes Beispiel. Kein Kino, kein Theater, das nicht höflich bittet, den übrigen Gästen nicht auf den Geist zu gehen. Kein Restaurant, von dem aus nicht Wichtigkeiten zu verbreiten wären. Mit Buschtrommel wär das nicht passiert. Auch die elektronische Post ist sehr praktisch und sehr kulturverdrängend. Die schöne Sitte des Briefschreibens, von der ganze Philologien leben, ohne die es Don Carlos oder Kabale und Liebe nicht gäbe, ist im Aussterben begriffen. Es ist schon praktisch und schnell, wenn ich meinen Freund Juri, der wohnt bei Toronto, eine Mail schicken kann, aber schöner ist es, wenn das Papier knistert, es ist eine unmittelbare, eine sinnliche, eine persönliche Verbindung. Ein Umstand, der die Perspektive des Mediums Zeitung noch für eine gute Weile sichern wird.
Oder die Erfindung der Leuchtschrift. Ohne diese Innovation hätten wir es letztens in Erfurt etwas ruhiger gehabt. Andererseits, diese Schrift hat auch so manchen Stammtisch ausgeleuchtet. Und das ist doch ein schönes Stückchen Volkskunst, das ich fast vergessen hätte.