Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 23. Juni 2008, Heft 13

Afghanische Angelegenheiten

von Peter Petras

Oberhalb von Königswinter gibt es den Petersberg mit Schloß. Das hatte früher mit Adenauer und den westlichen Besatzungsmächten zu tun. Im Jahre 2001 ließ die damalige Bundesregierung mit Schröder und Fischer an der Spitze dort eine erste Afghanistankonferenz stattfinden. Nach dem 11. September 2001 hatten die USA beschlossen, mittels Bombardierung und Besetzung Afghanistans dort einen »Regimewechsel« herbeizuführen, der die islamistischen Kräfte der »Taliban«, die angeblich die Angreifer auf das Welthandelszentrum in New York unterstützt hatten, von der Macht entfernen sollte. Deutschland hatte dann jene Konferenz ausgerichtet, die vom 27. November bis 5. Dezember 2001 tagte und die Weichen für ein anderes Afghanistan stellen sollte.
Es sollte eine Übergangsregierung geben und an der Spitze eine »afghanische Persönlichkeit«, die als »Symbol der Nationalen Einheit anerkannt ist und um die sich alle ethnischen, religiösen und regionalen Gruppen sammeln können«. Als derartige Person wurde der Paschtune Hamid Karsai ausersehen, dem auch Verbindungen zu verschiedenen westlichen Geheimdiensten nachgesagt wurden. Bei den Präsidentenwahlen 2004 wurde er als Gewinner ausgezählt, bei den anschließenden Parlamentswahlen wurden etliche der Kriegsherren, die in den neunziger Jahren das Land in den Ruin geführt hatten, auch als gewählt festgestellt. Bereits im Januar 2002 tagte in Tokio eine Geberkonferenz, die eine »Wiederaufbauhilfe« für Afghanistan in Höhe von 4,5 Milliarden US-Dollar zusagte. Im April 2004 wurden auf einer nächsten Konferenz in Berlin nochmals 7,4 Milliarden Euro zugesagt. Am Ende wurden in Afghanistan zwischen 2002 und 2006 85 Milliarden Dollar für Militärmaßnahmen, aber nur 7,5 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau eingesetzt.
Das Land hat laut Schätzungen etwa dreißig Millionen Einwohner. 6,6 Millionen Einwohner haben derzeit jedoch nicht genug zu essen, 68 Prozent der Bevölkerung fehlt ein nachhaltiger Zugang zu sauberem Wasser, die Lebenserwartung ist von 44,5 auf 43,1 Jahre gefallen. Die UNO bescheinigt dem Land seit 2004 einen Rückschritt gemäß Human Development Index. Die zum 12. Juni erneut anberaumte »Afghanistan-Konferenz« stellte nochmals zwanzig Milliarden Dollar für Karsais Regierung bereit. Afghanistan ist statistisch gesehen das viertärmste Land der Welt, liefert aber 92 Prozent der weltweiten Opium-Produktion.
Die erste Folgerung also lautet: Die Militärbesatzung hat für die Lösung der Probleme Afghanistans nichts gebracht. Die Bevölkerung Afghanistans ist kriegsmüde und will ihre Probleme selbst lösen. Insofern ist das Reden, nach dem Abzug des Westens werde es den großen »Bürgerkrieg« geben, völlig verfehlt: Es gibt ihn heute, jeden Tag, und der Westen ist Teil dessen.
Am 7. und 8. Juni fand eine große Afghanistan-Konferenz der Friedensbewegung in Hannover statt. Daran nahmen aussagekräftige »Zeitzeugen« aus dem heutigen Afghanistan teil, ebenso Friedensaktivisten aus den USA: Veteranen der Friedensbewegung wie junge Kriegsdienstverweigerer, die »Dienst« im Irak und Afghanistan geleistet und dann mit dem Kriegssystem der USA gebrochen hatten. Da gab es viel Spannung in der Diskussion, besonders wenn es um die konsequente Haltung der Kriegsgegner aus den USA geht, die einst Soldaten waren und nach wie vor weltweit von ihrem »Heimatland« verfolgt werden.
Und was bringen die Deutschen ein? Die Organisatoren solcher Veranstaltungen hierzulande können sich darauf berufen, daß eine große Mehrheit der Deutschen den Krieg in Afghanistan und vor allem die Beteiligung der Bundeswehr daran ablehnt. Bisher sind in Afghanistan etwa 800 Besatzungssoldaten getötet worden, darunter 25 der Bundeswehr.
Eine den ehemaligen US-Soldaten vergleichbare Bewegung von Soldaten oder Ehemaligen gibt es in Deutschland nicht. Die Friedensbewegten bestehen aus alten Männern und Frauen, die schon immer für den Frieden waren, oder jungen Leuten, die ohnehin den Dienst an irgendeiner Waffe ablehnen. Junge Männer, die erst »dienten« und dann in der Mühle des Krieges anderen Sinnes wurden, gibt es hier bisher nicht. Die freiwillig Längerdienenden in den Kriegen, die dieses Deutschland jetzt führt, wissen um die Gefahren, aber auch um die Bezahlung. Die reicht gegebenenfalls für die Finanzierung einer Meisterausbildung, die unterdessen nicht nur viele Ostdeutsche sich sonst nicht leisten könnten.
Die ehemaligen amerikanischen Soldaten, die ihre Kriegsgegnerschaft bekunden, finden in Deutschland keine vergleichbaren Partner. Das hat ihre Kriegstraumata sicher nicht positiv beeinflußt. Was ist mit den Deutschen los? Deutschland denkt links und handelt rechts, schrieb Kurt Tucholsky dereinst. Das Militär ist dafür geschaffen, daß es handelt.