Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 26. Mai 2008, Heft 11

Schreiben mit der Linken

von F.-B. Habel

Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen.
Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist.
Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen
sagt keine Tafel, was verboten ist.
Theobald Tiger, Weltbühne 20/1924

Auch im von Theobald Tiger besungenen Park Monceau flanierten die Mitglieder der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft auf ihrer Jahrestagung, die sie diesmal nach Paris führte. Der Namenspatron, der sich sehr um das gegenseitige Verständnis der ehemaligen »Erbfeinde« bemühte, hatte seit 1924 hier für einige Jahre gelebt und wäre vielleicht für immer geblieben, wenn er eine ihm gemäße Wohnung gefunden hätte. So standen bei der Tagung im Maison Heinrich Heine der Cité Internationale Universitaire vor allem die französischen Aspekte in Tucholskys Schaffen im Zentrum. Jochanan Trilse-Finkelstein griff auf, was Tucholsky mit Heine verband, und Hans-Detlef Mebes hatte die Spuren akribisch recherchiert, die Tucholsky bei den Pariser Freimaurern hinterlassen hatte. Sein Freimaurertum bliebe bei der Interpretation seines Werkes zu Unrecht meist unbeachtet, so Mebes.
»Paris ist eine Stadt, deren weibliche Bewohner meistens in horizontaler Lage anzutreffen sind, und deren männliche, champagnerbesoffen, hysterisch nach dem Kopf Hindenburgs rufen. Das degenerierte Volk der Franzosen wälzt sich in nackten Paaren auf den Boulevards, ruft abwechselnd ›Gloire!‹ und ›à Berlin!‹ und hat überhaupt kein Nationalgefühl, darum wird es nächstens untergehen, und viel zu viel Nationalgefühl, darum wird Deutschland nächstens untergehen.« Professor Dr. Dieter Mayer aus Mainz zitierte Tucholskys Persiflage auf die deutsche Journaille in seiner Untersuchung über die Vergleiche, die der Publizist zwischen Berlin und Paris zog.
Die Kurt-Tucholsky-Gesellschaft, die in diesen Wochen ihren Sitz von Berlin nach Minden/Westfalen verlagert, beging in Paris ihr zwanzigjähriges Jubiläum. Die Mitbegründer Beate Schmeichel-Falkenberg, Gustav Huonker, Roland Links und Harry Pross wurden aus diesem Anlaß zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Helga Paasche, heute hochbetagtes Mitglied der Gesellschaft, hatte auf der Jubiläumstagung vor zehn Jahren an ihren Vater, den linken Publizisten Hans Paasche erinnert, der in ihrer Gegenwart 1920 einem Fememord anheimfiel. (Vergleiche Das Blättchen 12/1998) »So geht das alle, alle Tage. / Hierzuland löst die soziale Frage / ein Leutnant, zehn Mann. Pazifist ist der Hund? / Schießt ihm nicht erst die Knochen wund! / Die Kugel ins Herz! Und die Dienststellen logen: / Er hat sich seiner Verhaftung entzogen.« Das schrieb Theobald Tiger in seinem Gedicht Paasche in der Weltbühne 23/1920, und daran wurde man bitter erinnert, als Jürgen Rose im Rahmen einer Erinnerungsstunde zum Jahrestag der Bücherverbrennung das Wort ergriff. Der Oberstleutnant ist Sprecher des Arbeitskreises Darmstädter Signal der Bundeswehr, dem einzigen kritischen Sprachrohr von ehemaligen und aktiven Offizieren und Unteroffizieren, der sich zur Rolle des Militärs in der Demokratie äußert.
Rose selbst hatte auf die Verfassungswidrigkeit von Kriegseinsätzen, so auch in Afghanistan aufmerksam gemacht und aus Gewissensgründen darum gebeten, von Tätigkeiten, die diesen Einsatz unmittelbar unterstützen, entbunden zu werden. Die Bundeswehr würde sich hier des »Friedensverrats« schuldig machen, führte er aus. Zwar wurde seinem Wunsch stattgegeben, aber das Echo kam bald.
»Ich beurteile Sie als Feind im Inneren und werde mein Handeln danach ausrichten, diesen Feind im Schwerpunkt zu zerschlagen«, schrieb ihm in einer Haß-E-Mail der Hauptmann Daniel K. vom Kommando Spezialstreitkräfte in Calw und setzte fort: »Sie werden beobachtet, nein nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht.« Rose solle zurückkehren in »die Sümpfe des Steinzeitmarxismus«, hieß es bei K., der seine Tiraden mit den Worten »Es lebe das heilige Deutschland« schloß.
Die Sprache erinnerte sowohl an die Freikorps, die einen Paasche umbrachten, als auch an den Jargon der Nazi-Herrschaft. Nachdem Rose wegen der offensichtlich rechtsextrem motivierten Gewaltandrohungen förmlich Beschwerde gegen K. eingelegt hatte, wurde ihm flugs mitgeteilt, es sei eine disziplinarische Maßnahme getroffen worden, und damit sei die Sache erledigt. (Nebenbei: Auch eine Belobigung ist eine disziplinarische Maßnahme!)
Ein Paket von achtzehn Fragen, von der Fraktion der Linken als Kleine Anfrage im Bundestag eingebracht, wurde nichtssagend bis ignorant beantwortet. »Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß innerhalb des Truppenteils Kommando Spezialkräfte eine Gruppe von Offizieren oder anderer Soldaten besteht, von der rechtsextremistische Bestrebungen ausgehen bzw. die sich an solchen Bestrebungen beteiligt«, war die einzige Antwort, der man eine Spur von Substanz zubilligen kann. Das Problem wird negiert.
»Deutschland ist eine anatomische Merkwürdigkeit. Es schreibt mit der Linken und tut mit der Rechten«, hatte Tucholsky gesagt. Die Teilnehmer der Tagung gingen mit der Erkenntnis auseinander, daß Schreiben viel bewirken kann – wenn Taten folgen.