Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 14. April 2008, Heft 8

Von Stasisündern und Steuersündern

von Horst Jakob

Ja, von Stasi-Mitarbeitern sind – selbst gemessen am DDR-Recht – Straftaten begangen worden. Das war, ist und bleibt schlimm, ganz und gar für einen »Arbeiter-und-Bauern-Staat«, der ja verlautbarterweise unterwegs war vom »Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit«. Mehrheitlich indes war das, was nach seinem Bekanntwerden in berechtigten Verruf kam, moralisch verwerflich, strafrechtlich aber eher selten.

Das hat – wir wissen es – nun fast schon zwanzig Jahre lang die gesamtdeutschen Lufthoheitler nicht daran gehindert, vornehmlich IMs am Nasenring öffentlich vorzuführen und per Aussiebung aus Arbeitsrechtsverhältnissen auszusondern. Das dürfte in vielen Fällen sicherlich berechtigt gewesen sein, in diversen anderen war eine Stigmatisierung ohne nachweisbare Straftaten aber eher politisch gewollt – davon abgesehen, daß Geheimdienste wie etwa die CIA oder das NKWD, was begangene (und zwar nachgewiesene) Verbrechen angeht, ziemlich unerreicht sind und, falls der FSB oder seine Konkurrenten nicht noch kräftig zulegen, wohl auch unerreicht bleiben werden. Nun ja.

Steuerhinterziehung ist in Deutschland nach § 370 der Abgabenordnung eine Straftat, die als so scharf sanktionierenswert gilt, daß sie mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden soll. Nun ist klar, daß es ein ganzes Heer von Hinterziehern geben dürfte. Die Anleitungen dafür kann man schließlich kaufen, wenn man sich nicht bei einem »Berater seines Vertrauens« Informationen über »Steueroptimierungsmodelle« einholen mag. Dazu muß man nicht einmal nach Vaduz reisen. Auf dreißig Milliarden Euro veranschlagt die Deutsche Steuergewerkschaft das Volumen der jährlichen Steuerhinterziehung in summa.

Verurteilenswert ist hier freilich jedes dieser Delikte. Ganz besonders aber wohl doch, wenn es von jenen in großem Stil betrieben wird, die eh zu den Reichen rechnen, und bei denen es nicht um Peanuts geht, bestenfalls um solche, wie Ex-Banker Hilmar Kopper sie versteht.

Nun war das Ganze vor einigen Wochen überraschend kräftig aufgeflogen. Der Staatsanwaltschaft Bochum zufolge wird bundesweit gegen rund sechs- bis siebenhundert Verdächtige ermittelt. Rund neunhundert Durchsuchungsbeschlüsse seien – laut Auskünften von Mitte Februar! – bereits ergangen. »Kreise der Bundesregierung« wurden zitiert, die sogar von einer vierstelligen Zahl von Verdächtigen und von einer Gesamtsumme von 3,4 Milliarden Euro gesprochen haben sollen. Betroffen von den Ermittlungen seien vermögende Deutsche »vom Mittelständler bis zum Prominenten«.

Als Klaus Zumwinkel am 14. Februar zur Primetime tv-gerecht abgeführt wurde, hätte man annehmen können, daß jetzt tabula rasa gemacht wird und die große Selbstreinigung beginnt.

Nun ja … Außer zwei, drei der »sehr vielen prominenten Personen«, über deren kriminelle Energie die eingegangenen Dateien Auskunft geben, ist nicht ein Name bislang bekannt geworden – oder haben Sie, verehrte Leser, anderes bemerkt? Hier obwaltet vermutlich der Daten- beziehungsweise Persönlichkeitsschutz.. Zumal sich ja doch so viele (wer?) zur freiwilligen Selbstanzeige entschlossen haben, was ein Kunststück ist, wenn man weiß, daß die eigene Straftat ja eh bekannt ist. Ist die Steuerhinterziehung nach einer Selbstanzeige eigentlich keine Straftat mehr? Man weiß ja leider so wenig …

Im Blättchen schon mehrfach zitiert, sei einmal mehr der ebenso schöne wie in diesem Kontext unverzichtbare Satz aus Josef Hellers Roman Endzeit zitiert, den er dort einen Jurastudenten sagen läßt:

»Je mehr ich vom Recht kennenlerne, desto mehr erstaunt es mich, daß es nicht verboten ist.«

Oder – wieder mal – Tucholsky (1921): »Justitia! Ich wein bitterlich: Du gehst auf einen langen –––––––«