Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 28. April 2008, Heft 9

Das Wesen des Theaters

von Yannis Nitsos, Nikosia

Der zyprische Verlag Cyclos hat – mit Unterstützung des zyprischen Bildungsministeriums – eine weitere Sammlung von Notaten des Berliner Regisseurs und heutigen amerikanischen Hochschullehrers Heinz-Uwe Haus herausgebracht, die auch in Deutschland Aufmerksamkeit verdient.

In sechs Kapiteln führt Haus den Leser immer wieder zur wesentlichen Funktion des Theaters zurück: die Herrschaft des Menschen über sich und sein soziales Wesen in Geschichten abzubilden. Von der antiken orchestra bis zum emty space stellt der Autor die gesellschaftlichen Verhältnisse als den Motor theatralischer Vorgänge dar. »Das Chaos des Lebens soll als überwindbares System von Widersprüchen zu Bewußtsein kommen.« Alles Verborgene, Verschleierte, Undurchsichtige scheint dem Autor nur der rote Faden zur dialektischen Aufhebung der Widersprüche zu sein. In jedem Beitrag wird deutlich, daß Haus Theaterarbeit vorbehaltlos im Sinne Brechts als aktiven Prozeß der Geistes- und Seelenbildung versteht. Das ist nach seinem Lebenslauf nicht verwunderlich. Im Vorwort bekennt er sich zu Brechts Einfluß auf sein Tun und Lassen. Als seine beiden herausragenden Lehrer nennt er Wolfgang Heinz, der ihn einst als Meisterschüler ans Deutsche Theater verpflichtete, und Manfred Wekwerth, der ihn später in seine Arbeitsgruppe engagierte und dem er über Jahre am Regieinstitut der DDR verbunden blieb..

Haus’ Erfahrung mit Brecht als survival kit während des dogmatischen Kulturalltags hat ihn auch nach dem Fall der Mauer nur bestärkt, so viele wie mögliche Kulturtraditionen auf ihren Gebrauchswert hin zu befragen und in seine Arbeit einzubeziehen, vorausgesetzt, sie helfen bei der Überwindung alles Mystischen, Irrationalen, Dekadenten, und zwar in Inhalt und Form.

Die »Gesellschaftsumwälzer«, wie Brecht die Menschen nannte, die ihr eigenes Leben und das Gesicht ihrer Gesellschaft verändert haben, sind nach Haus’ Auffassung nur begrenzt gestaltbar mit einer Methode, die unter gesellschaftlichen Bedingungen entstand, »worin der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert«. Das Menschlich-Bilden der Umstände im Verlauf geschichtlicher Daseinsbeherrschung ist für Haus keine graue Theorie oder gar ein diskreditierter Denkansatz, sondern Verwirklichung und Schranke individueller Freiheit zugleich, derentwegen der antike Chor ebenso vor sein Publikum trat wie Shakespeares Richard III.: als Spielstätte des sich selbst mündig machenden Bürgers.

Einsichten in das soziale Getriebe zu gewähren, Impulse für seine Veränderung zu erzeugen, »das Vergnügen an der Meisterungsmöglichkeit des menschlichen Schicksals durch die Gesellschaft« erlebbar zu machen, sind für Haus das Wesen und die Existenzgrundlage der Schauspielkunst. In dem Material zu Leben des Galilei wendet er sich gegen jedes Verharren in Gestaltungsschablonen und einmal gefundenen typs, gegen jede Absolutierung zufälliger Wirklichkeitsausschnitte, gegen jedes normative Regelwerk. Hier geht er vor allem mit dem »Pessimismus der Intellektuellen« ins Gericht und versichert sich Gramscis »Optimismus des Willens«. Auch die Notate zur Athener Erstaufführung von Baal, zu Sezuan in Milwaukee und Arturo Ui in Bowling Green geben dem Leser ein überzeugendes Bild von der Wirkungskraft Brechtscher Ästhetik.

Haus’ Ziel ist eine ausgeprägte künstlerischen Regiekultur. Die Auseinandersetzung mit den Widersprüchen des gesellschaftlichen Lebens und das Streben, Neues durchzusetzen, gehören nach seiner Auffassung zu den Eigenschaften einer Künstlerpersönlichkeit. Das ist, wenn man die Tonangebenden im gegenwärtigen westlichen Theater betrachtet, alles andere als opportuner Zeitgeist.

Heinz-Uwe Haus: Notes on Directing, Cyclos Theater Books, Nicosia 2007, 204 Seiten, 15 CyL, ISBN-13: 978-9963-9164-3-6