Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 7. Januar 2008, Heft 1

Übernahmeauftrag

Übernahmeauftrag
von Uwe Stelbrink
Wir sind gerade umgezogen. Nach Grünau. Zur Information für Zugereiste aus den Gebieten westlich der Elbe: Das ist auch in Berlin, aber Schickimicki ist da noch nicht angekommen. Wir hoffen, daß das recht lange noch so bleibt, denn wir bauen uns unsere Wohnung gerade als Alterssitz aus. Korrekt: Nicht wir bauen, sondern Handwerker bauen. Oder: Sollen bauen.
Wir leben ja nunmehr in einer angebotsorientierten Wirtschaft und Gesellschaft, was ein Fortschritt gegenüber der nachfrageorientierten sein soll. Meinen die Neoliberalen und damit keineswegs die DDR, sondern die alte BRD, in der man sich neuerdings nach einem untergegangenen rheinischen Kapitalismus sehnt.
Angebotsorientiert, lernen wir gerade, bedeutet, daß im Angebot einer Firma grundsätzlich das drinsteht, was der potentielle Kunde wünscht: Leistung und Liefergegenstand, Ausführungsdatum und Preis stimmen – es ist wie Weihnachten: Wünsch Dir was, und die Marktwirtschaft bringt es vorbei. Dafür ist ein ganzes Völkchen auf die Straßen und Plätze gegangen und hat sich zu »einem Volk« mit seinen Brüdern und Schwestern erklärt. In manchen Meinungsumfragen wird immer wieder die Zufriedenheit mit den Verhältnissen im vereinten Deutschland abgefragt – und die Befrager wundern sich regelmäßig, daß im beigetretenen Gebiet Ernüchterung eingekehrt sei. Und eine Romantisierung der DDR zunehmend Platz greife.
Nun, da wir außerhalb einer Kaufhalle, pardon: eines Supermarktes, mit den Segnungen der Marktwirtschaft näher in Berührung kommen, neigen wir neben unserem seit 1989 andauerndem verständnisvollem Nicken (Ja, so hatten wir uns das immer vorgestellt, wenn’s mal andersrum kommt) auch zu leichten Anflügen eines zunehmend romantischen Verhältnisses zur Untergegangenen (Romantik, Herr Safranski, Romantik!).
In der DDR waren die Auskünfte immer klar und eindeutig: Ham wer nich, gibt’s nich mehr, kommt erst zu Weihnachten, da müssen se sich anmelden, dauert ein Jahr, zwei Jahre oder zwölf Jahre. Aber wenn man dran war, dann war man auch dran, war schließlich Planwirtschaft, zwar nicht gerade nachfrageorientiert, aber Nachfrage gab’s immer und ausreichend. Jetzt sind die Auskünfte nur vor der Auftragserteilung klar und eindeutig. Wenn’s praktisch wird, ist alles anders.
Die Telefonfirma verspricht einen Umschalttermin, kann ihn aber nicht einhalten, da sie gar keine Leitungen besitzt und die Eignerin andere Terminplanungen hat. Das erfährt man, wenn der Wartetag vorbei ist.
Der Tischler kann zwar tischlern, benötigt dazu aber, welch Überraschung, Holz. Und – neue Überraschung kurz vor dem Fertigungstermin – das Holz ist nicht lieferbar, jedenfalls nicht zum Termin. Die dann doch aufgetane Lieferquelle liefert Holz, aber zu dünn für unsere Bücherregale. Einige Tage später ist Holz in der richtigen Dicke verfügbar, wieder aus anderer Quelle, aber dafür eine andere Holzsorte. Aber das kann man mit Beize und Lack regeln. Der verschobene Montagetag naht – aber es fehlen die Beschläge, die kommen so nach und nach. Und nach und nach hat der Tischler auch was zu tun, nur nicht zu den zugesagten Terminen. Quasi höhere Gewalt.
Badewanne und Duschkabine stehen in jedem Baumarkt – aber es sind (wie zur Leipziger Mustermesse seligen Angedenkens) nur Ansichtsexemplare. Will man kaufen, hebt bei den Herstellern Entsetzen und Bestürzung an: Da will jemand kaufen, und auch noch sofort. Wo kommen wir denn da hin, wir müssen unsere Kunden erziehen – vor allem zur Geduld.
Der Glaser erzählt mir, nachdem er seine zugesagten Termine ebenfalls aufgekündigt hat, daß »die im Westen ums Jahresende doch immer Dunkelzeit haben«. – ??? – »Na, die haben doch dann so viele Feiertage, bis ins neue Jahr rein, mit den drei Königen und so.« Kauft er denn nicht in Brandenburg oder in Torgau die zwei Scheiben Flachglas? »Doch, aber die gehören jetzt zu Flachglas Gelsenkirchen, und da dreht sich nichts mehr dieses Jahr. Und außerdem gehören die Gelsenkirchener jetzt zu Pilkington in England, und die feiern da doch auch so lange mit ihrem Pudding«. Hm.
Der einzige, der sofort reagiert und tatsächlich umgehend hilft, ist der Elektriker. Und hat dafür eine verblüffende Erklärung: »Wie soll ich sonst an Aufträge kommen?«.
So haben wir Weihnachten und Silvester zwischen Bücherkisten und Kartons verbracht. Und sind ziemlich romantisch angeknabbert: Genosse Gerhard Schürer, übernehmen Sie!

von Uwe Stelbrink

Wir sind gerade umgezogen. Nach Grünau. Zur Information für Zugereiste aus den Gebieten westlich der Elbe: Das ist auch in Berlin, aber Schickimicki ist da noch nicht angekommen. Wir hoffen, daß das recht lange noch so bleibt, denn wir bauen uns unsere Wohnung gerade als Alterssitz aus. Korrekt: Nicht wir bauen, sondern Handwerker bauen. Oder: Sollen bauen.

Wir leben ja nunmehr in einer angebotsorientierten Wirtschaft und Gesellschaft, was ein Fortschritt gegenüber der nachfrageorientierten sein soll. Meinen die Neoliberalen und damit keineswegs die DDR, sondern die alte BRD, in der man sich neuerdings nach einem untergegangenen rheinischen Kapitalismus sehnt.

Angebotsorientiert, lernen wir gerade, bedeutet, daß im Angebot einer Firma grundsätzlich das drinsteht, was der potentielle Kunde wünscht: Leistung und Liefergegenstand, Ausführungsdatum und Preis stimmen – es ist wie Weihnachten: Wünsch Dir was, und die Marktwirtschaft bringt es vorbei. Dafür ist ein ganzes Völkchen auf die Straßen und Plätze gegangen und hat sich zu »einem Volk« mit seinen Brüdern und Schwestern erklärt. In manchen Meinungsumfragen wird immer wieder die Zufriedenheit mit den Verhältnissen im vereinten Deutschland abgefragt – und die Befrager wundern sich regelmäßig, daß im beigetretenen Gebiet Ernüchterung eingekehrt sei. Und eine Romantisierung der DDR zunehmend Platz greife.

Nun, da wir außerhalb einer Kaufhalle, pardon: eines Supermarktes, mit den Segnungen der Marktwirtschaft näher in Berührung kommen, neigen wir neben unserem seit 1989 andauerndem verständnisvollem Nicken (Ja, so hatten wir uns das immer vorgestellt, wenn’s mal andersrum kommt) auch zu leichten Anflügen eines zunehmend romantischen Verhältnisses zur Untergegangenen (Romantik, Herr Safranski, Romantik!).

In der DDR waren die Auskünfte immer klar und eindeutig: Ham wer nich, gibt’s nich mehr, kommt erst zu Weihnachten, da müssen se sich anmelden, dauert ein Jahr, zwei Jahre oder zwölf Jahre. Aber wenn man dran war, dann war man auch dran, war schließlich Planwirtschaft, zwar nicht gerade nachfrageorientiert, aber Nachfrage gab’s immer und ausreichend. Jetzt sind die Auskünfte nur vor der Auftragserteilung klar und eindeutig. Wenn’s praktisch wird, ist alles anders.

Die Telefonfirma verspricht einen Umschalttermin, kann ihn aber nicht einhalten, da sie gar keine Leitungen besitzt und die Eignerin andere Terminplanungen hat. Das erfährt man, wenn der Wartetag vorbei ist.

Der Tischler kann zwar tischlern, benötigt dazu aber, welch Überraschung, Holz. Und – neue Überraschung kurz vor dem Fertigungstermin – das Holz ist nicht lieferbar, jedenfalls nicht zum Termin. Die dann doch aufgetane Lieferquelle liefert Holz, aber zu dünn für unsere Bücherregale. Einige Tage später ist Holz in der richtigen Dicke verfügbar, wieder aus anderer Quelle, aber dafür eine andere Holzsorte. Aber das kann man mit Beize und Lack regeln. Der verschobene Montagetag naht – aber es fehlen die Beschläge, die kommen so nach und nach. Und nach und nach hat der Tischler auch was zu tun, nur nicht zu den zugesagten Terminen. Quasi höhere Gewalt.

Badewanne und Duschkabine stehen in jedem Baumarkt – aber es sind (wie zur Leipziger Mustermesse seligen Angedenkens) nur Ansichtsexemplare. Will man kaufen, hebt bei den Herstellern Entsetzen und Bestürzung an: Da will jemand kaufen, und auch noch sofort. Wo kommen wir denn da hin, wir müssen unsere Kunden erziehen – vor allem zur Geduld.

Der Glaser erzählt mir, nachdem er seine zugesagten Termine ebenfalls aufgekündigt hat, daß »die im Westen ums Jahresende doch immer Dunkelzeit haben«. – ??? – »Na, die haben doch dann so viele Feiertage, bis ins neue Jahr rein, mit den drei Königen und so.« Kauft er denn nicht in Brandenburg oder in Torgau die zwei Scheiben Flachglas? »Doch, aber die gehören jetzt zu Flachglas Gelsenkirchen, und da dreht sich nichts mehr dieses Jahr. Und außerdem gehören die Gelsenkirchener jetzt zu Pilkington in England, und die feiern da doch auch so lange mit ihrem Pudding«. Hm.

Der einzige, der sofort reagiert und tatsächlich umgehend hilft, ist der Elektriker. Und hat dafür eine verblüffende Erklärung: »Wie soll ich sonst an Aufträge kommen?«.

So haben wir Weihnachten und Silvester zwischen Bücherkisten und Kartons verbracht. Und sind ziemlich romantisch angeknabbert: Genosse Gerhard Schürer, übernehmen Sie!