Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 10. Dezember 2007, Heft 25

Urban Tale Produktion

von Helmut Höge

Die Geschichte spielt 1991 in Berlin: Uschi, eine flüchtige Bekannte, die in der Bleibtreustraße wohnte, besaß einen alten kastrierten Kater, der – kurz nachdem sie sich einen Anrufbeantworter von Panasonic gekauft hatte – verstarb. Sie wollte ihn nicht in die Mülltonne werfen, sondern anständig im Grunewald vergraben. Dazu packte sie das tote Tier in den Panasonic-Karton, den sie sorgfältig verschnürte.
Auf dem Weg zum Bahnhof Zoo kam sie in der Kantstraße am Aldi-Supermarkt vorbei. Vor der Eingangstür hatte sich, obwohl es noch sehr früh war, bereits eine lange Schlange gebildet. Ein junger Mann zupfte Uschi am Ärmel. Als Pole dürfe er nur drei Packungen Kaffee kaufen, erklärte er ihr und zeigte auf ein handgeschriebenes Plakat am Schaufenster, er benötige aber zehn. Er würde ihr gern 100 DM geben und vor der Tür auf sie warten. Uschi willigte ein. Als sie in den Laden gelassen wurde, drückte sie dem Polen ihren Karton in die Hand. Der Mann gefiel ihr. Um so erstaunter war sie, als sie mit den zehn Packungen Kaffee wieder rauskam. Der Mann hatte sich in der Zwischenzeit verdrückt – mit ihrem Panasonic-Karton. Als sie die Geschichte später ihren Freunden erzählte, besaß sie immer noch neun Pfund Kaffee aus dem »Deal«. In den Gesprächen über diesen Vorfall kam sie immer wieder auch auf das Problem der »polnischen Wirtschaft« zu sprechen: Eigentlich dürfe man darüber ja, über Polen generell, gar keine Witze machen, in dieser ausländerfeindlichen Arier-Atmo zur Zeit, meinte sie, aber gerade darum müsse man es tun. Das mit ihrem Kater sei jedoch eine echte Sauerei: »Da gibt es nix!«
Mir erzählte die Geschichte einige Jahre später Uschis Freund Hans-Dieter Heilmann. Nachdem ich sie etliche Male mündlich weitergegeben hatte, machte ich daraus einen kleinen Text, den ich für 160 D-Mark an die Frankfurter Rundschau verkaufte.
Zu dieser Zeit gab Harald Schmidt auf Sat.1 laufend gemeine Polenwitze zum besten. Wenig später erwarb sein Sender aber eine Lizenz in Polen. Haralda Schmidta war im polnischen Fernsehen schnell sehr beliebt – Schmidts Polenwitze wurden seltener. Auch Uschis Katergeschichte, die in Form meines FR-Artikels in seine Witzakte gelangt war, verwendete er nicht mehr.
Um die Zeit der Euro-Einführung besuchte ich dann eine Lesung von Thomas Kapielski im Brecht-Zentrum. Zu meinem großen Erstaunen trug der Künstler dort meine beziehungsweise Heilmanns beziehungsweise Uschis Geschichte mit dem Polen und dem Panasonic-Karton, in dem sich ihr toter Kater befand, vor. Ein Jahr später hörte ich die Geschichte erneut – aus dem Mund von Detlef Schörling auf einer der Berliner Lesebühnen. Und noch ein Jahr später verbriet sie eine mir namentlich unbekannte junge Frau auf einem »Comedy-Abend« in Kassel, der im dortigen Offenen Kanal live übertragen wurde, im Studio moderiert von meinem Freund Martin Reuter.
Zuletzt stieß ich auf Uschis Geschichte in einer holländischen Essaysammlung von Jan Overkerk – unter der Überschrift Leipzig.Leipzig. Jedesmal hatten die Erzähler sie üppiger ausgeschmückt. Das fing schon bei Uschi selbst an, wobei sie noch der Meinung gewesen war, daß sie sich jedesmal an weitere Details erinnert hatte. Heute kann sie die Geschichte übrigens nicht mehr hören. Ich habe dann mal nachgerechnet: Das Panasonic-Gerät kostete Uschi 300 DM. Sie erwarb es in der Kantstraße bei einem polnischen Elektronikhändler. Diese Händler gibt es dort noch, aber ihre Umsätze gehen zurück. Ende der Neunziger machten sie bis zu 100000 DM Umsatz täglich.
Wenn man die hundert DM für den Kaffee abzieht und unterschlägt, daß ein toter Kater keine Anrufe aufzeichnet, hat Uschi die Geschichte 200 DM gekostet – etwa hundert Euro. Alle, die sie gegen Honorar weitererzählten, so weit ich das mitbekommen habe, haben an ihr zusammengenommen rund tausend Euro verdient. Das ist doch nicht nichts!