Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 17. September 2007, Heft 19

In tempore belli (VII)

von Erhard Crome

Zuweilen geben Befunde zum Vergleich von Herrschaftspraktiken erhellend Aufschluß. Vom Herrschaftssystem Hitlers weiß man, daß es in der neuen Reichskanzlei, die im Januar 1939 fertiggestellt wurde, einen Saal für Sitzungen der Reichsregierung gab, diese jedoch nie als Ganzes dort zusammengetreten ist. Entscheidungen wurden in kleinen Kreisen getroffen, oder indem Hitler einzelne Minister einbestellte, um ihnen Befehle zu erteilen. Das Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ist etwa zur gleichen Zeit ebenfalls nie als Korpus zusammengetreten; Stalin lud die jeweils Verantwortlichen zur Beratung, in deren Ergebnis seine Festlegungen getroffen wurden.
Oder um zwei andere Beispiele anzuführen: Die Entscheidung, daß die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert, traf im Dezember 1979 weder das Politbüro als Ganzes noch die Sowjetregierung, sondern eine kleine Gruppe, die neben anderen aus Generalsekretär Breshnew, dem Geheimdienstchef Andropow, dem für das Militär zuständigen Minister Ustinow und dem Außenminister Gromyko bestand. Und der Postminister der DDR, der der CDU angehörte, erfuhr im November 1988 aus der Zeitung, er hätte das Verbot der Auslieferung der sowjetischen Zeitschrift Sputnik, die wegen der Ideen der Perestroika in der DDR von Hand zu Hand ging, ausgesprochen. Tatsächlich hatte Erich Honecker das zusammen mit zwei Politbüromitgliedern nebenbei auf dem Flugplatz festgelegt.
Derartige Erscheinungen werden in der Politikwissenschaft gemeinhin totalitären und autoritären Regimen zugeordnet, und es wird betont, in der Demokratie sei das anders. Mittlerweile ist allerdings nachzulesen, daß nie eine Sitzung mit allen ranghohen Beratern des Präsidenten George W. Bush stattgefunden hat, bei der offiziell über einen Krieg gegen den Irak debattiert und entschieden wurde. (James Risen: State of War. Die geheime Geschichte der CIA und der Bush-Administration, Hoffmann und Campe Hamburg 2006) Eine andere Form derartiger Herrschaft ist, daß wichtige Befehle nicht schriftlich erteilt werden, sondern die nächsten Untergebenen wissen oder zu wissen meinen, was der jeweilige Führer oder Boss will, und darauf hinarbeiten. So hatte der US-Geheimdienst im März 2002 – nach der Besetzung Afghanistans – Abu Subaida, einen wichtigen Vertrauten Bin Ladens, in Pakistan festgenommen. Dabei war der schwer verwundet, in ein Krankenhaus gebracht und behandelt worden. CIA-Chef George Tenet berichtete Bush freudig von der Verhaftung. Dieser wiederum fragte, was die CIA denn inzwischen aus dem Mann herausgeholt hätte, und Tenet antwortete: Nicht viel, Subaida habe wegen der schweren Verletzungen starke Schmerzmittel bekommen, durch die er benommen sei. Darauf fragte Bush: »Wer hat denn genehmigt, daß er Schmerzmittel bekommt?« War das nun einer der üblichen Witze des Präsidenten oder die Aufforderung, den Gefangenen zu mißhandeln? Nach der Besetzung des Irak hatten weder die US-Armee noch die CIA schriftliche Richtlinien für die Durchführung von Verhören. Erst nachdem die Folterungen im Gefängnis Abu Ghraib ein öffentlicher Skandal geworden waren und die Armee dies zu untersuchen genötigt war, schickte die CIA einen Juristen nach Bagdad, der sich mit den Verhörpraktiken der CIA-Niederlassung befaßte.
Das Auf-die-Führung-Hinarbeiten gilt auch für den Umgang mit Informationen, und zwar in verschiedener Hinsicht. Eine ist: Man will die Wahrheit nicht hören. Anfang November 2003, als in Washington noch getönt wurde, man habe den Irak-Krieg gewonnen, bereiste der neue Chef der Bagdader CIA-Station exponierte US-Militäreinheiten, um sich ein Bild von der sich zuspitzenden Lage im Lande zu machen. Der junge Kommandeur eines Postens sagte zu ihm: »Der Krieg fängt demnächst an.« Daraufhin schrieb der Stationschef eine ehrliche Darstellung der sich verschlimmernden Situation und schickte sie nach Washington. Der Bericht wurde weitergereicht, im Weißen Haus und im Pentagon aufmerksam gelesen und dann der Verfasser gebeten, nach Washington zu kommen und dem Präsidenten Bericht zu erstatten. Einige Tage danach wurde ihm mitgeteilt, er sei abgelöst und werde nicht nach Bagdad zurückkehren.
Eine andere ist, es werden »Informationen« produziert. Im Falle des Irak-Krieges gehörte dazu die Behauptung, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen. In den achtziger Jahren hatte Saddam Hussein tatsächlich eine Nuklearprogramm auflegen lassen; das wurde nach der Niederlage im Golfkrieg 1991 jedoch eingestellt, und alle Einrichtungen wurden zerstört. Die CIA hatte im Herbst 2002 zuverlässige Berichte aus dem Irak, daß es keine Massenvernichtungsmittel und kein Atom-Programm gab. Die wurden jedoch nicht an das Weiße Haus oder das Außenministerium weitergereicht. Die Dienste standen unter dem Druck, den Kurs der Regierung zu unterstützen. So wurde die »Information« produziert, der Irak habe versucht, in Niger Uran zu kaufen. Bush benutzte sie in seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2003, um sich über die nukleare Gefahr Saddam Hussein zu verbreiten. Da der Krieg ohnehin unvermeidbar war, so die Einstellung jener, die es besser wußten, kam es auf die Stichhaltigkeit der Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak nicht mehr an.
Im April 2002 – also fast ein Jahr vor der Invasion im Irak – wurden die CIA-Führungsoffiziere aus ganz Europa zu einer Sonderkonferenz in Rom einbestellt. Vertreter der Operativen Irak-Gruppe aus der Zentrale teilten den Versammelten mit, der Irak sei bereits, als der Präsident gewählt wurde, ein zentraler Punkt auf dessen Liste gewesen. Der 11. September habe den Angriff nur verzögert. Aufgabe sei es jetzt, in ganz Europa eine Propagandakampagne zu starten und in den europäischen Medien Stories zu lancieren, die für einen Krieg gegen den Irak Stimmung machen.
Der CIA und anderen Diensten ist es offiziell untersagt, derlei in den USA selbst zu tun, im Ausland hingegen nicht. Außerdem benutzte nach dem 11. September 2001 die Bush-Regierung alle verdeckten Instrumente der US-»Sicherheitspolitik«, die in der Zeit des Kalten Krieges geschaffen worden waren, um sowohl im eigenen Land als auch weltweit Menschen zu bespitzeln sowie Bürger- und Freiheitsrechte abzubauen.
Im Dezember 2002 traf sich Bush mit seinen Beratern, um über den Stand des »Krieges gegen den Terror« zu reden. Einige äußerten sich besorgt, daß Terroristen vom Typus Al-Qaida nach wie vor über die Fähigkeit verfügten, in der islamischen Welt Anhänger zu rekrutieren. Bush schob die Einwände beiseite und meinte, das werde »der Sieg im Irak schon regeln«.
James Risen, als Journalist bei der New York Times für »Nationale Sicherheit« zuständig, beendet sein Buch mit dem Satz: »Die Hoffnungen und Träume der Regierung Bush starben an Orten wie Falludscha, Ramadi und Tal Afar.« Bei der Bewertung der Präsidentschaft von George W. Bush ist Risen eher zurückhaltend. Der US-amerikanische Bestseller-Autor Carl Bernstein dagegen sagte über diese Präsidentschaft: »Das Ergebnis ist ein Debakel für dieses Land und brachte uns den wahrscheinlich schlechtesten Präsidenten unserer Geschichte.« (Der Spiegel, 23/2007.)
Die Frage ist nur, ob die herrschenden Kreise und die politische Klasse der USA ihm vorwerfen, daß er die Kriege geführt hat, oder, daß er sie verliert. In den weiteren Debatten um die Zukunft der USA und ihrer Politik sollten die herrschaftssoziologischen Gesichtspunkte, wie diese Kriege mit Lug und Trug hinter dem Rücken der demokratischen Öffentlichkeit angezettelt wurden, nicht aus den Augen verloren werden.