von Klaus Hammer
Als Ignaz Wrobel, Theobald Tiger, Peter Panter, Kaspar Hauser und manchmal auch Kurt Tucholsky schrieb er in der Weltbühne seine Meisterwerke der Stilkunst, des Humors und der Satire. Das waren seine »5 PS«, die selbständig ihr Eigenleben, ihr Eigenschaffen entfalteten.
»Und es war nützlich, fünfmal vorhanden zu sein – denn wer glaubt in Deutschland einem politischen Schriftsteller Humor? Dem Satiriker Ernst? Dem Verspielten Kenntnis des Strafgesetzbuches, dem Städteschilderer lustige Verse? Humor diskreditiert. Wir wollten uns nicht diskreditieren lassen und taten jeder seins. Ich sah mit ihren Augen, und ich sah sie alle fünf: Wrobel, einen essigsauren, bebrillten, blaurasierten Kerl, in der Nähe eines Buckels und roter Haare; Panter einen beweglichen, kugelrunden, kleinen Mann; Tiger sang nur Verse, waren keine da, schlief er – und nach dem Kriege schlug noch Kaspar Hauser die Augen auf, sah in die Welt und verstand sie nicht. Eine Fehde zwischen ihnen wäre durchaus möglich. Sie dauert schon siebenunddreißig Jahre.«
So charakterisierte Tucholsky in der Einleitung zu seinem ersten, von Ernst Rowohlt herausgegebenen Sammelband seiner Schriften die vier Pseudonyme, die verschiedenen Rollen seines Metiers: Ignaz Wrobel ist der stachelige Satiriker, Peter Panter der Theaterkritiker, literarische Rezensent und Reiseschriftsteller, Theobald Tiger der Versemacher, Kaspar Hauser sieht eine Welt, die er nicht versteht.
Kurt Tucholsky steht nicht im Medium eines einzigen Genres für seine Zeit, sondern mit seiner Person und seinem Werk insgesamt. Mühelos wechselte der Meister der kleinen Form von einem Bereich in den anderen, von der Prosa zur Lyrik, vom Feuilleton zur satirischen Skizze, von der Glosse zur Reportage, von der Kritik zum Pamphlet, vom Chanson und Couplet zum Tagebuch in Versen und zum politischen Gedicht, vom Kabarettsong zum kleinen Roman.
Seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg und seine Enttäuschung über die »Republik ohne Republikaner« ließen ihn politisch stark nach links tendieren und insbesondere Justiz und Militär der Weimarer Republik scharf angreifen.
Dabei liegen die literarischen Anfänge Tucholskys schon in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Seit 1913 schrieb er Theaterkritiken für Siegfried Jacobsohns Zeitschrift Die Schaubühne. Die Schaubühne wurde 1918 zur Weltbühne und Tucholsky mit seinen »5 PS« zu einem der produktivsten Autoren der zwanziger Jahre. Er besaß eine höchstentwickelte kritische Intelligenz mit viel Sinn für Nuancen und zugleich einen unbestechlichen Gerechtigkeitssinn. Dazu trat als typisch Berliner Zug eine Neigung zu Pathos und Sentimentalität, gekoppelt mit der Fähigkeit, beides zu durchschauen, beides für die ethische Legitimierung seiner scharfen Kritik fruchtbar zu machen. Mit unerschütterlichem Mut versuchte der Prosaist Tucholsky seine politischen Gegner zu stellen. Aber im Grunde blieb er der sensible Ästhet, der bis zur Selbstvernichtung tapfer die Rolle des Moralisten spielte.
Aus den Gesammelten Werken Tucholskys hat Ingmar Weber Prosa und Lyrik ausgewählt, die sich bis heute ihre Aktualität und Faszinationskraft bewahrt haben. Der Herausgeber der Sammlung hat als Gliederung – unabhängig von den hier vertretenen Genres – eine Mischung von thematischer und chronologischer Folge, also das autobiographische Prinzip gewählt. In zehn Kapiteln folgen dem vorangestellten poetischen Credo des Autors ausgewählte thematische Komplexe, die jeweils chronologisch geordnet sind. In der Tat, Tucholskys Arbeiten sind Gelegenheitsprosa und -lyrik, sie markieren die Entwicklung seiner eigenen Existenz wie die seiner Zeit und präsentieren sich insgesamt als Tagebuch. In diesem Tagebuch sind die zwanziger und frühen dreißiger Jahre kritisch reflektiert. Und in diesem Tagebuch ging es Tucholsky um öffentliche Wirkung.
Unter dem Titel Zwei Seelen stellte Theobald Tiger dem Publikum der Weltbühne 1926 seine Zerrissenheit vor: »Ich, Herr Tiger, bestehe zu meinem Heil / aus einem Oberteil und einem Unterteil…« So zufrieden er auch mit seinem »Oberteil« ist – Tucholsky hat seine Fahne nie mehr nach dem Wind gehängt noch sie jemals verborgen –, so verächtlich geht er mit seinem »Unterteil« um, seinem mitunter krassen Egoismus, seiner Abhängigkeit vom Wohlleben, seinem oft gallebitteren Pessimismus, seiner sexuellen Verführbarkeit. Schreibend hat sich Tucholsky das Verständnis für das politische Gewirr um ihn herum erarbeitet und seinen eigenen Standort bestimmt.
In Wir Negativen legte er schon 1919 dar, warum er dieser zur Monarchie zurückstrebenden Republik immer wieder sein Nein entgegenhielt. Aber andererseits war er des ewigen Nein-Sagens müde, wollte auch aktiv an der Neugestaltung der Politik teilnehmen, sich einmischen, seine Vorstelllungen umsetzen.
Das größte Aufsehen als Autor erregte Tucholsky mit seiner bissigsten, politisch-polemischen Textsammlung Deutschland, Deutschland über alles von 1929, einem brillanten Feuerwerk aus Witz und Wut, ausgestattet mit Fotomontagen von John Heartfield. Prismenartig wird hier in vielfachen Brechungen sein zehnjähriger Kampf um diese Republik transparent. Mit dem Phänomen des Nationalsozialismus beschäftigte sich der Autor hauptsächlich als Satiriker. Er hat die Nazis lächerlich bis auf die Knochen gemacht.
Tucholskys Miniaturen sprechen alles aus, halten nichts zurück. Kaum ein Autor ist so sehr Vertrauter des Lesers, weckt sein Vertrauen, ohne es zu mißbrauchen, wie Tucholsky.
Gereimte Zeitgeschichte hat Theobald Tiger in meist boshaft-amüsanter Form so treffend wie kein anderer geschrieben. Tucholsky lieferte für Interpreten wie Paul Graetz, Rosa Valetti, Trude Hesterberg, Kate Kühl, Mady Christians oder Wilhelm Bendow launige Conferencen, pointiere Sketche und Monologe, kess-erotische Couplets oder klassenkämpferische Chansons. Textlich und rhythmisch besonders hinreißende Chansons sind politischer Natur, von Pazifismus oder von der Idee des Klassenkampfes eingegeben, manche ganz »privat« gemeint, beschaulich, versonnen und auch verliebt. Was hier oft so leicht und launig daherkommt, war das Ergebnis harter Arbeit.
Seinem letzten Buch, 1931 erschienen, gab Tucholsky den beziehungsreichen Titel Lerne lachen ohne zu weinen. Die »heitere Schizophrenie«, die er im Vorwort zu seinem Buch Mit 5 PS so beiläufig erwähnt hatte, war jetzt traurige, selbstzerstörerische, aber in diesem Falle auch noch einmal schöpferische Wirklichkeit geworden. In seinen letzten Jahren hat sich Tucholsky selbst als »aufgehörten Schriftsteller« bezeichnet und wollte nichts mehr veröffentlichen. Seine wachsenden Selbstzweifel, die zunehmenden Depressionen hatten ihre Gründe nicht allein in menschlichen Verlusten und Enttäuschungen – der Tod Siegfried Jacobsohns und das Scheitern der Ehe mit Mary –, in einem quälenden Leiden – einer pathologischen Verengung der oberen Atemwege –, die eine Reihe von Operationen notwendig machten, sondern auch in der entmutigenden Verdunkelung der politischen Szenerie. Er kam zu der Erkenntnis, dass seine unbestrittenen schriftstellerischen Erfolge keine Wirkung auf die machtverkörpernden Institutionen hätten. Seit 1930 hatte er sich ganz nach Schweden zurückgezogen. 1933 wurden in Hitlerdeutschland seine Werke verbrannt und der Autor ausgebürgert. Als er zwei Jahre später in einem Göteborger Krankenhaus starb, deutet zwar alles auf einen Selbstmord hin, aber einen Beweis dafür gibt es nicht.
Kurt Tucholsky: Augen in der Großstadt. Gedichte & Prosa, herausgegeben von Ingmar Weber. Grafiken von Hans Ticha, Edition Büchergilde Frankfurt am Main 2007, 351 Seiten, 21,90 Euro
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