Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 3. September 2007, Heft 18

Berlin schwelgt französisch

von Renate Hoffmann

Im hauptstädtischen Kunstsommer triumphieren die Franzosen. In der Neuen Nationalgalerie breitet das Metropolitan Museum New York seine Schätze aus. Die Alte Nationalgalerie glänzt nicht minder mit Werken französischer Kunst – kostbarer hauseigener Besitz –, in deren Mitte (wie auch in der New Yorker Sammlung) die Impressionisten stehen.
Monet ist mein Maler. Claude Oscar, in Paris 1840 geboren und 1926 verstorben in Giverny. Sein Gemälde vom Sonnenaufgang am Hafen von Le Havre Impression, soleil levant (1872), verlieh der Kunstrichtung ihren Namen. Den Bildern gibt Monet Licht, viel Licht. Weiträumigkeit, Leichtigkeit, Durchsichtigkeit und die Eigenart des Augenblicks. Und Poesie. Paul Cézanne sagt von seinem Kollegen: »Er war nur ein Auge, aber was für ein Auge!«
Der Winter 1892/93 brachte klirrende Fröste und anhaltenden Schneefall. Die Seine fror zu. Nicht weit von Haus und Garten in Giverny entfernt lag die Flußlandschaft in der fahlen Januarsonne. Monet wanderte am Ufer entlang und fing die Stimmung ein. Mehrere Male. Dennoch war er mit dem Entstandenen unzufrieden. Über Nacht schlug das Wetter um. Es taute. Ärgerlich schrieb der Maler an den Kunsthändler Paul Durand-Ruel: »Das Tauwetter kam mir zu früh … Das Resultat: nur vier oder fünf Bilder, und diese sind obendrein bei weitem noch nicht fertig.«
Das Tauwetter kam zu rechter Zeit. Mag es nach diesem 23. Januar erneut geschneit und gefroren haben, der erste Ton des Frühlings – hier klang er. Und Monet bannte ihn. Ganz im Sinne einer »sensation première«. Als er Die Eisschollen 1893 malte, war es wohl der Blick vom Rande des Dorfs Bennecourt aus hinüber zur kleinen Seine-Insel Forée, der ihn anzog. Vom feinen Dunst des Wintertags / umgeben, / der still im Stundenlauf vergeht, / stehn Strauch und Baum. / Gleich einem Traum, / konturenlos verweht / im trägen Wasser –/ treibt ihr Widerschein. / Die Ufer fühlen sich allein / und haben Sehnsucht / nach dem bunten Saum. / Doch merklich kaum, / rosé getönt und blaugestimmt / sieht man den März an seiner Rückkehr weben.
Hinüber zur Alten Nationalgalerie. Zu Claude Monets Gemälde Sommer (1874). Wiederholt wies der »Salon« – alljährliche traditionsbewußte Kunstausstellung in Paris, die über Ansehen und Wertschätzung von Künstler und Werk entschied – Monets Bilder und die seiner Malerfreunde zurück. Sie taten sich zusammen und zeigten im Frühjahr 1874 ihre abgelehnte Kollektion am Boulevard des Capucines. In den Atelierräumen des Fotografen Nadar. Entrüstung und Zustimmung in der Öffentlichkeit. Fortan nannte man die Gruppe, nach einer Zeitungsnotiz, spöttelnd »Impressionisten«. Nur wenige Wochen danach, als die Sommertage kamen, die Natur noch das helle Maigrün trug, Wiesen auf den ersten Grasschnitt warteten, gelang dem Maler das schöne Abbild dieser Jahreszeit. Zugleich auch eine gültige, ja programmatische Antwort auf die Frage nach dem Wesen des neuen Kunstgefühls.
Camille, Monets Frau, sitzt im hohen Gras, den grünen Sonnenschirm zur Seite. Ihr heller Rock bauscht sich wie eine Blüte. Liest sie? Schlummert sie ein wenig? Jean, der Sohn, bringt Blumen. Gelbe, weiße …
Das Grün der Bäume / vom sanften Mittagswind gedrängt, / neigt sich zum blauen Streif / der Ferne. / Wie gerne / ginge man durch eine Wiese, / die Wärme / und den Sommeratem spürend / und sich verlierend / in dem Licht der Tagesträume.