Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 6. August 2007, Heft 16

Sinn oder Unsinn?

von Sarah Liebigt

Der Student von heute hat es nicht leicht. Entscheidet er sich für einen modernen, kompakten und nur sechs Semester dauernden Bachelorstudiengang, wird ihm so mancher Hinkelstein in den Weg gelegt. Viele dieser neuen Studiengänge sind vielfältige Kombinationen traditioneller Fächer wie Literatur- und Kunstwissenschaften. Häufig tragen sie klingende Namen, die aus dem englischsprachigen Raum übernommen wurden. So kann man heute innerhalb von drei Jahren einen berufsqualifizierenden Abschluß im Software Engeneering erwerben, gar das Fach Psychologie nach sechs Semestern abschließen oder zum Multitalent im Studiengang Literatur-Kunst-Medien werden.
Zur Zeit befinden sich viele dieser Fächer in der Umstrukturierungs- und Probephase. Was soviel heißt wie: Man nehme die Inhalte eines Magister- oder Diplomstudiengangs, benenne sie um und biete sie in der Regelstudienzeit von drei Jahren an. Studenten, die sich für eines dieser neuen Bachelorfächer entscheiden, lernen in den drei Jahren vor allem eins: mißtrauisch gegenüber allen offiziellen Auskünften über zu erbringende Prüfungsleistungen und angekündigte Auslandssemester zu werden. Der mysteriös angehauchte Spionageromansatz Traue niemandem wird zur Maxime. Mindestens drei verschiedene Personen sollte man zu einem Sachverhalt befragen und sich glücklich schätzen, wenn zwei Aussagen sich im Inhalt überschneiden.
Eine weitere Neuerung im Rahmen der Bachelorstudiengänge ist ein elektronisches Verwaltungssystem für Prüfungsleistungen. Bisher war der »Schein«, ein DIN-A5-Zettel mit rosafarbenem oder gelbem Durchschlag, Dozentenunterschrift und Universitätsstempel, die heißersehnte Trophäe jeder Klausur und jeder hochwissenschaftlichen Hausarbeit. Nun muß man sich mittels Matrikelnummer und Paßwort über das Internet in ein System einloggen und dort für die im jeweiligen Semester belegten Seminare und Kurse anmelden. Hierzu erhält der Student einen Brief mit Paßwort und Tan-Liste, den Online-Banking-Nutzern wohlbekannt. Das Paßwort muß nach dem ersten Login umgehend personalisiert werden, mit Sonderzeichen und mindestens acht Zeichen lang.
Im ersten Durchlauf im vergangenen Winter lag der Anmeldezeitraum am Ende des Semesters, also genau in jener Zeit, zu der man sich definitiv entschieden hat, welche Hausarbeit und welche Klausur man endgültig schreiben wollte und konnte. In diesem Sommer läuft der Anmeldezeitraum bereits einen Monat vor Semesterende ab. An den Sekretariats- und Bürotüren leuchten rote Zettel, auf denen an die Anmeldefrist erinnert wird. Verpaßt man diese Frist, kann man offiziell keinen Schein erwerben – unabhängig davon, ob man andere Bedingungen wie die Einlieferung eines Referates, ständige und aufmerksame Anwesenheit sowie Anmeldung beim Dozenten pflichtbewußt erfüllt hat oder nicht.
Da nun ein Bachelorstudiengang Haupt- und Nebenfach beinhaltet, kann es geschehen, daß man Kurse in unterschiedlichen Fachbereichen belegt und sich daher die Anmeldefristen gravierend unterscheiden. Und dann erfährt der zwischen Bücherstapeln, Bibliothek und Büro hin- und hereilende Student, daß die Anmeldefrist für diesen einen Kurs bereits gestern abgelaufen ist. Von der Seite im Verwaltungssystem leuchtet es dunkelrot herab: Der Anmeldezeitraum endete am 10. 06. 2007. Die Annahme, das Datum der Anmeldefrist für sämtliche Bachelorstudenten würde einheitlich geplant und festgelegt, erweist sich damit schmerzhaft als falsch. Auch lernt man wieder einmal, daß man nicht an jede mögliche Abweichung oder Problemsituation gedacht hat. Hektisch beginnt man nach den E-Mail-Adressen der zuständigen Bereiche zu suchen und verschickt Mail um Mail. Da heute das Referat für eben diesen Kurs fertig werden soll, weil man das Buch morgen zurückgeben muß und es nun eh schon nachmittag und somit niemand mehr an den zuständigen Stellen zu erreichen ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als auf den nächsten Vormittag und verständnisvolle Ohren zu hoffen.
Eine andere Erfindung, die den Bachelorstudiengang wohl praxisnaher und vielfältiger gestalten soll, sind die sogenannten Schlüsselqualifikationen. Hierbei handelt es sich um Kurse, Seminare, Workshops oder Blockseminare, die zu unterschiedlichsten Themen angeboten werden. Im »Modul Schlüsselqualifikation« müssen zwanzig Credits erworben werden. Noten werden hier nicht vergeben. Diese Schlüsselqualifikationen dienen der »überfachlichen Vermittlung berufsqualifizierender Kompetenzen«. Der gemeine Bachelorstudent muß und/oder kann also Kompetenzen in Bereichen wie Zeitmanagement, Arbeitsrecht für Geisteswissenschaftler, Projektmanagement, Interkulturelle Kommunikation, Public Relations oder Soziales Lernen für Studierende erwerben.
Entsprechend dem Profil des Wahlpflichtfaches muß sich der Student für bestimmte Kurse entscheiden, um die nötige Zahl der Credits zu erreichen. Da das vorhandene Angebot bei weitem nicht auf die Zahl der Bachelorstudenten zugeschnitten ist, kann es geschehen, daß man sich schließlich gezwungen sieht, im sechsten Semester wöchentlich und montagmorgens eine Vorlesung zum Thema Darstellung wissenschaftlicher Inhalte in Präsentationen mittels Computergestützter Präsentationstechniken (PowerPoint) zu belegen – nur um schließlich sein Studium pünktlich abschließen zu können.