Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 6. August 2007, Heft 16

Das gelebte Prinzip Hoffnung

von Kai Agthe

Jürgen Teller (1926-1999) war ein universal gebildeter und stiller Intellektueller. Als Autor ist er nicht nur ein glänzender Essayist, sondern, wie man jetzt erleben darf, auch ein großartiger Briefautor gewesen. Die Briefe an Freunde zu lesen, ist – nicht allein stilistisch – ein wirklicher Genuß. Gleich, ob er an den väterlichen Freund Ernst Bloch oder an die Berliner Freunde Volker Braun und Friedrich Dieckmann oder seine beiden Kinder schrieb: Die Briefe Jürgen Tellers sind stets kleine Meisterwerke, in denen sich eine bemerkenswerte Belesenheit mit erstaunlicher Fremdsprachenkenntnis und der steten Lust am Sprachspiel mischt. Weil er als Assistent Ernst Blochs dem verehrten Leipziger Lehrer und »sehr geliebten Marcion« in Tübingen (Anrede in einem Brief vom 1. Juli 1975) nicht abschwören wollte, hatte sich Teller 1958 in der »Produktion zu bewähren«. In einem Stahlwerk in Leipzig verlor er bei einem unverschuldeten Unfall den linken Arm. Bereits im Zweiten Weltkrieg hatte Jürgen Teller einen Finger der rechten Hand eingebüßt. Beide Diktaturen haben ihn also im buchstäblichen Sinne schwer gezeichnet. Derart gestraft, durfte der Philosoph an den Schreibtisch zurückkehren, der erst im Leipziger Institut für Volkskunstforschung, dann im Reclam-Verlag und in den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten in Weimar sowie im Kiepenheuer-Verlag stand. 1991 rehabilitiert, unterrichtete Jürgen Teller bis 1993 an der Leipziger Universität als Honorarprofessor Philosophie. Danach wandte er sich – nicht zuletzt wegen des unzulänglichen Honorars der Leipziger Alma mater – dem Studium seiner vierzehn Ordner umfassenden Stasiakten zu, um – wie in einem Schreiben an den Jugendfreund Gert Roßberg zu lesen – feststellen zu müssen: »Bis in den Strandkorb in Göhren hat man uns oberserviert.« Für die Briefe Jürgen Tellers gilt ein Wort, das Tellheim (Ernst Bloch) in einem Schreiben an Friedrich Dieckmann für die Episteln Blochs fand: »Sie sind ein echtes Document humain.« Zusammen mit dem 2001 erschienenen Band Hoffnung und Gefahr – Essays, Aufsätze und Briefe 1954-1999 beweist dieser Band, daß der Philosoph Jürgen Teller zwar ein kleines, aber sehr feines Œuvre hinterlassen hat, das der Nachwelt Respekt abnötigt – nicht zuletzt, weil er, allem persönlichen Ungemach zum Trotz, das Prinzip Hoffnung lebte.

Jürgen Teller: Briefe an die Freunde, herausgegeben von Hubert Witt und Johanna Teller, Insel Verlag Frankfurt/Main 2007, 612 Seiten, 29,90 Euro