Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 10. Juli 2007, Heft 14

In tempore belli (VI)

von Erhard Crome

Die großspurig angekündigte Frühjahrsoffensive der NATO in Afghanistan, in deren Ergebnis die Taliban ihre ultimative Niederlage erleiden sollten, erweist sich offenkundig als Flop. Die täglichen Meldungen aus der Kriegsberichterstattung verweisen auf harte Kämpfe, die vor allem nicht aufhören, das heißt, die Taliban-Seite ist nicht strategisch geschwächt worden. Selbst Hamid Karsai, afghanischer Präsident von Westens Gnaden, sah sich genötigt, dessen Truppen daran zu erinnern, daß auch Afghanen Menschen sind: »Das Leben der Afghanen ist nicht wertlos, und es sollte auch nicht so behandelt werden.«
Anlaß waren die blutigen Kämpfe in der südafghanischen Provinz Helmand Ende Juni. Als die NATO-Truppen in den Bodenkämpfen mit den Taliban nicht weiterkamen, forderten sie Luftunterstützung an. Die bombardierte dann nicht nur Talibanstellungen, sondern auch Dörfer; 25 Bewohner starben, darunter Frauen und Kinder. Die Kommandeure der USA und der NATO erklärten natürlich erneut, Zivilisten würden nicht absichtlich angegriffen. Wenn das stimmt, kann es sich nur um schlechte Aufklärung, schlampige Truppenführung und unzureichende Bewaffnung und Ausrüstung handeln. Selbst in den offiziellen Schätzungen der USA und der NATO ist von mindestens 230 getöteten Zivilisten in Afghanistan im ersten Halbjahr 2007 die Rede.
Die Bellizisten fordern noch mehr Truppen und Waffen für den Krieg in Afghanistan. Wenn schon der Irak-Krieg der USA und ihrer Noch-Willigen in eine grandiose Niederlage mündet, soll wenigstens Afghanistan gehalten werden. Die deutsche Regierung beteiligt sich daran. Bereits der Einsatzbefehl für die deutschen Tornado-Flugzeuge hatte den Unterschied zwischen dem NATO-Krieg unter dem Titel: »Operation Enduring Freedom« (an dem sich Deutschland bis 2006 angeblich nicht beteiligte) und dem UN-mandatierten ISAF-Einsatz verwischt. ISAF steht für International Security Assistance Force, für die es einen Beschluß des UNO-Sicherheitsrates vom 20. Dezember 2001 gibt; die deutsche Beteiligung wurde von der damaligen SPD-Grünen-Regierung zwei Tage später mitgeteilt.
Interessanterweise wird im offiziösen Sprachgebrauch wie in den Großmedien hierzulande immer von »Schutztruppen« gesprochen. Dies wiederum ist in der deutschen Kolonial- und Militärgeschichte ein alter Bekannter: In den deutschen Kolonien »Deutsch-Ostafrika«, Kamerun und »Deutsch-Südwestafrika« wurden die dort eingesetzten Militärverbände »Schutztruppen« genannt, weil die Kolonien ja euphemistisch nicht Kolonien hießen, sondern Schutzgebiete genannt wurden. Entstehende Ähnlichkeiten sollen wohl zufällig sein. Nur hatte Karsai augenscheinlich Grund, die Achtung des Rechtes auf Leben der afghanischen Zivilbevölkerung durch die »Schutztruppen« einzufordern.
War ISAF zunächst vorwiegend auf den Norden Afghanistans konzentriert, während die »Anhaltende Freiheit« im Süden waltete, so sind jetzt die Einsätze vollends vermischt, logistisch und praktisch vermengt und in sich verflochten. Es hat offenbar auch keinen Sinn, beide entflechten zu wollen: Auch dieser Krieg ist in seiner Gänze nicht geeignet, irgendwelche Probleme in und um Afghanistan zu lösen. Das zeigte bereits kürzlich die Meldung, daß aus Afghanistan mittlerweile neunzig Prozent der Weltproduktion an Opium kämen; die Mohnanbauflächen dort seien auf 165000 Hektar ausgedehnt worden. Laut UNO-Befund ist das die größte Fläche, die je in einem Land ermittelt wurde. Aber das scheint sich ja trotz oder auch wegen der Kriegslage so zu entwickeln. Geht man davon aus, daß unter den Taliban Afghanistan im Jahre 2000 als nahezu drogenfrei galt, scheinen nun blühende Landschaften zu entstehen.
Vertreter der deutschen Bundesregierung malen derweil Bedrohungsszenarien an die Wand. Innenminister Schäuble sieht Deutschland wegen seines Agierens in Afghanistan »im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus«. Allerdings können konkrete Hinweise auf geplante Anschläge in diesem unserem Lande nicht gemacht werden. So zumindest der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, doch gäbe es für die in Afghanistan eingesetzten deutschen Soldaten eine »punktuelle Verschärfung« der Lage. Für wie dumm halten die das Publikum eigentlich? Deutsche Soldaten – wir wissen ja methodisch-wissenschaftlich, daß Vergleichen nicht Gleichsetzen ist – lebten an der »Ostfront« im Jahre 1942 auch gefährlicher als auf Heimaturlaub oder die Zivilbevölkerung in Deutschland. Hier werden die Resultate der von Anfang an verfehlten Kriegspolitik in bezug auf Afghanistan zum Argument genommen, um die Sache noch weiter zu verschärfen, statt eine Umkehr vorzunehmen.
Kanzleramtsminister de Maizière ist ebenfalls mit den »Mosaiksteinchen« befaßt, die angeblich so gut zusammenpassen und das Bild eines islamistischen Terrorismus ergeben, so Innenstaatssekretär Hanning gegenüber der Presse. Für Herrn de Maizière kommen diese Steinchen gerade zur rechten Zeit. Wer im weltweiten »Kampf gegen den Terrorismus« seinen Mann zu stehen hat, kann nicht gleichzeitig zu seiner Verantwortung im sächsischen Politik-Kriminalitäts-Komplex befragt werden. Dort sind wichtige belastende Akten offenbar inzwischen verschwunden.
Das scheint bei derzeitigen Verantwortungsträgern überhaupt um sich zu greifen. Der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages befaßt sich mit den Einsätzen der KSK. Das ist das »Kommando Spezialkräfte«, eine in der Graf-Zeppelin-Kaserne im württembergischen Calw stationierte Spezialeinheit der Bundeswehr, die der Division Spezielle Operationen unterstellt ist. Sie soll bereits seit 2002, an allen Parlamentshürden vorbei, in Afghanistan eingesetzt gewesen sein. Stellt sich dies als zutreffend heraus, handelte es sich um einen Verstoß gegen das Grundgesetz und um Rechtsbruch. Der Staatssekretär im »Bundesverteidigungsministerium« hatte noch im November 2006 zugesichert, der Verteidigungsausschuß werde über alle KSK-Einsätze informiert. Jetzt teilte das Ministerium mit, durch eine technische Panne seien die entsprechenden Daten verschwunden und nicht mehr auffindbar. Der Bundestagsausschuß wird sich jetzt auch mit diesem ominösen Datenschwund befassen. Vielleicht sollte befohlen werden, daß alle Kommandostellen wieder ein Tagebuch führen, in das mit der Hand täglich alle wesentlichen Lageeinschätzungen und Bewegungen eingetragen werden.
Im September und Oktober 2007 steht im Bundestag die Verlängerung der beiden Afghanistan-Kriegsmandate an. Menschlich betrachtet, und der Mehrheit der deutschen Bevölkerung folgend, müßte es ein »Nein« sein. Die Mehrheiten im Parlament sind nicht so. Aber es sollte eine namentliche Abstimmung sein. Schon damit die Witwen, Waisen und trauernden Eltern der Bundeswehrsoldaten wissen, wer diese Entscheidung getroffen hat.
Die Bellizisten sind derweil nicht untätig. Die aktuelle Argumentationsvolte heißt: Die Terroristen zielten auf den Abzug deutscher Soldaten, Polizeihelfer und ziviler Hilfsorganisationen aus Afghanistan. Dann wäre jeder, der in Deutschland diesen Kriegseinsatz ablehnt, ein Gehilfe des Terrorismus oder heimlicher Taliban? Das gab’s doch auch schon. Der Kaiser kannte »nur noch Deutsche« und alle Kriegsgegner galten als Vaterlandsverräter. Aber so weit sind wir noch nicht wieder.