Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 23. Juli 2007, Heft 15

Entsorgte Geschichte

von Max Hagebök

Es war die Preisfrage, die mich nachdenklich stimmte: »In welcher Stadt an der Oder hat von Hagens sein Werk für Leichenplastinierung?« Die Telefone beim Sender Radio 1 aus Potsdam blieben stumm. Verzweifelte Moderatoren priesen den Gewinn an, doch es war still. Irgendwie hatten sich die googlegestählten Mitspieler vertan. Denn bei Eingabe der Begriffe von Hagens, Oder und Stadt kamen null Ergebnisse. Wie sollte es auch anders sein? Die gesuchte Stadt ist Guben und liegt an der Neiße.
Sicherlich kein Beinbruch. Könnte denken, der denken kann. Doch so einfach ist das nicht. In den Redaktionsstuben von Print, Hörfunk, TV und Internet regiert die Unkenntnis über die DDR. Mit einem soliden Vorurteil ausgerüstet, erscheint deren Existenz nur schemenhaft.
Nach siebzehn Jahren begutachteter deutscher Einheit ist der Lack ab. Die bundesdeutschen Macher in den medialen Schaltstellen brauchen nicht mehr verständnisvoll über die DDR-Wurzeln ihrer Hörer und Zuschauer nachzudenken. Im leichten Plauderton werden Späße aus der guten alten bundesdeutschen Republik zum Besten gegeben. Der ostdeutsche Mensch wird umarmt und soll einfach mitlachen. Da er in seiner Diktatur mehr Wissen über den anderen deutschen Staat hatte als mauerseitig umgedreht, ist es dem geschulten FDJler ein Einfaches, am Spaß teilzuhaben. Die ehemaligen Zugetretenen in diesem Konvent der verlorenen Vergangenheit trauen sich nicht, ihrem Leben zu vertrauen. Überhaupt ist die DDR am herrlichsten zu genießen, wenn sie als Treppenwitz der Geschichte westlich verdaubar aufbereitet wird. Eine Prise Kitsch verrührt mit Diktatur – und schon ist das tägliche Teigstück fertig, aus dem einheitliche Bundesbürger gebacken werden. Was die DDR einmal war, soll vergessen gemacht werden. Der Bürger muß ein schlechtes Gewissen haben zu jedem Tag vor der großen Segnung. Willfährige werden nicht aus Stolz geboren.
Aber es bleibt nicht den Medien allein überlassen, die DDR zu deuten. In all den öffentlich-rechtlichen Sendern verkommen DDR-Filme, den mdr ausgenommen, zu Pausenfüllern für nächtlich Schlafgestörte. Wenn diese nicht lieber mit den Sexmuttis telefonieren.
Die ostdeutschen Literaten bekamen gleich nach der Wende den Maulkorb umgehängt. Ein bißchen Diffamierung und Totschweigen. Wer durch Gelesenwerden Geld verdient, der wird so schnell ruhiggestellt.
Am verrücktesten ist aber das Mühen von Teilen der ostdeutschen Eliten, sich in dieser Welt der Ignoranz und des kolonialen Dünkels kritisch mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Da stehen die Täter und die Opfer gemeinsam auf und versuchen sich ihr Leben zu erklären. (Nicht zu vergessen, daß einige der aufopferungswilligen Erklärer große Täter waren.) Statt Applaus hagelt es von allen Seiten Schläge, die aufs Gemüt gehen. »Denn Undank ist der Welten Lohn, kniend vor des Siegers Thron« (Arnold Blowatz, »Knechtjahre«).
Viel einfacher hätten es die Ossis, wenn sie ganze Völker geschlachtet hätten. Dieser Teil der deutschen Geschichte findet ungeteiltes Interesse. Die Panzerschlachten »unserer« Armeen in Rußland oder die opferreichen Seeschlachten werden zur besten Sendezeit bei N24 gesendet. Immer mit dem Duktus: Es war zwar nicht besonders schön, aber es wurden Heldentum und Tapferkeit gezeigt. In den Bücherläden ist Hitler nie aus der Mode gekommen.
Die DDR kann da nicht mithalten. Sie war eine mittelmäßige Diktatur. Und Mittelmaß ist nichts für den gebildeten Bundesbürger.