Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 2. April 2007, Heft 7

Sozialismusdebatten

von Erhard Crome

Im globalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts gilt Reichtumsanhäufung als chic. Das US-amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes ist das Mitteilungsblatt dafür: Gegenüber 2004 mit 587 Milliardären in der Welt ist 2006 deren Zahl auf 946 angestiegen. Die kapitalistische Weltökonomie heckt offenbar nichts so schnell wie Superreiche.
Wenn also immer noch oder immer wieder die Rede davon ist, es sei kein Geld da: Dort ist es, in den Taschen dieser Leute. In Deutschland werden gerade wieder die Unternehmenssteuern gesenkt, von derzeit noch 38,7 Prozent auf 29,8 Prozent. Die SPD-Linke räsoniert zwar, sie werde dieses Geschenk an die großen Konzerne nicht durchwinken, solange das Geld für Gesundheit, Bildung und Kinder fehlt. Verhindern werden sie es aber nicht; seit Schröder setzen sich in dieser Partei regelmäßig die Parteigänger der Neoliberalen durch. Am Ende des Kreislaufes wird es wieder in den Taschen der Forbes-Wettbewerber landen. Das Rad der Kapital- und Eigentumskonzentration dreht sich weltweit immer schneller, und auch der deutsche Staat leistet dabei Hilfestellung.
Deshalb wächst der Zorn. Die Debatten um Sozialismus nehmen wieder zu – und führen zur Eigentumsfrage zurück. Während angesichts des gescheiterten Realsozialismus und seines verallgemeinerten Staatseigentums es in den 1990er Jahren an dieser Stelle zunächst Zurückhaltung sowie die Illusion gab, die weitere Ausprägung der Demokratie werde das Problem von selbst lösen, ist heute klar: Nichts löst sich von selbst, wenn es nicht von neuen gesellschaftlichen Mehrheiten in die Hand genommen wird.
Allerdings feiern die einfachen Antworten fröhliche Urständ. Ein Verlag preist das Buch Heinz Dieterich mit dem Titel Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts mit dem Spruch an, dieser Titel sei »ein Slogan geworden. Man spricht wieder über Sozialismus. Wer mitreden möchte, bekommt hier das Original.« Wovon eigentlich? Über Sozialismus wird in der globalisierungskritischen Bewegung seit dem Weltsozialforum in Mumbai 2004 wieder geredet. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez sprach auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre 2005 erstmals von »Sozialismus im 21. Jahrhundert«, aber wohl kaum, weil 2006 dieses Buch erschienen ist. Für Chávez aber ist dieser Slogan, mit dem er im vergangenen Jahr die Präsidentenwahlen gewann, nach wie vor mit einem Fragezeichen versehen. Er ist eine Aufforderung an das politische und theoretischen Denken und das gesellschaftliche Handeln, die Forderung nach einem Sozialismus im 21. Jahrhundert mit einem neuen Inhalt zu füllen.
Die Dieterichsche Antwort auf diese Frage ist die Abschaffung des Marktes, des Preises und schließlich des Geldes, womit wir wieder bei einem sehr fundamentalistischen Verständnis von Sozialismus wären, dessen Umsetzung in Venezuela nichts anderes bewirken würde als eine Mangelwirtschaft, wie wir sie aus dem realsozialistischen Europa kannten. Derlei wird nach wie vor als Anwendung von Marx interpretiert.
Eine ähnliche Vorgehensweise findet sich in Diskussionskreisen, die sich Wege aus dem Kapitalismus nennen. Sie behaupten, »fundamental« auf Marx zurückzugreifen. Hier erscheint dann auch wieder der Ökonom Robert Kurz. Er hatte bereits 1991 geschrieben, »die bürgerliche Welt des totalen Geldes und der modernen Ware« werde »noch vor dem Ende des 20. Jahrhunderts in ein dunkles Zeitalter von Chaos und Zerfall gesellschaftlicher Strukturen« eintreten. In früheren Jahrhunderten war es so, daß die Weissager des Weltuntergangs verschwanden, wenn der geweissagte Termin verstrichen war. Robert Kurz aber reist weiter durch die Lande, beschwört unverändert das baldige Ende und hält den »Abgesang auf den Kapitalismus«.
Das Ende des Kapitalismus ist in der Tat zu diskutieren, wenn Sozialismus ernsthaft verhandelt werden soll. Aber nicht mit solchen einfachen, schlichten Antworten. Insofern lenken Dieterich und Kurz eher von den wirklichen Problemen ab.
Heute wissen wir, daß die Schlüsselbereiche der Gesellschaft, insbesondere die der Daseinsvorsorge, in die öffentliche Hand gehören und ansonsten eine tatsächlich funktionierende Marktwirtschaft innovative Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme der Gesellschaft schaffen muß. Das »Wertgesetz«, wonach sich Waren gemäß der zu ihrer Produktion notwendigen Menge gesellschaftlich notwendiger Arbeit, also entsprechend ihren Wertgrößen austauschen, ist nicht »außer Kraft zu setzen«. Es setzt sich nicht anders um als über Märkte, auf denen das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wirkt, und über Ware-Geld-Beziehungen. Produktion, Verteilung, die Sphäre der Warenzirkulation und der Konsum der breiten Masse der Bevölkerung können nur angesichts der dafür vorhandenen Institutionen des Marktes und auf dem Markt reguliert werden, nicht indem man intellektuell andere Systeme auszutüfteln versucht, die nur mit »der Macht« und nicht mit der Logik der wirtschaftlichen Verhältnisse durchzusetzen wären.
Das internationale Kapital hat nach 1989 vor allem die Aufblähung der internationalen Finanzsphäre genutzt und das Netz der dafür geschaffenen supranationalen Institutionen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds, Welthandelsorganisation, ausgebaut, um den wirtschaftlichen Druck auf alle Völker und Volkswirtschaften zu erhöhen. Das Ergebnis sind die 35 Prozent Wachstum des Milliardärsbesitzes innerhalb eines Jahres. Insofern ist es eine der wichtigsen Forderungen, die Rolle dieser Finanzsphäre wieder zu verringern und die nationalstaatliche Kompetenz für Wirtschafts- und Sozialpolitik zurückzugewinnen. Mit anderen Worten: Die Marktinstitutionen müssen nicht abgeschafft, sondern in ihrer Wirkungsweise verändert werden.
Beim Sozialismus im 21. Jahrhundert handelt es sich um eine große historische Suchbewegung. Mit-Suchende sind gefragt, nicht die Besserwisser.