Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 2. April 2007, Heft 7

Robert Mapplethorpe

von Ulrike Krenzlin

Angesichts des Fotos mit einer Männerhand im Arsch eines Mannes fragte ein Journalist Robert Mapplethorpe: »Was glauben Sie, wie viel weiter können wir eigentlich gehen?« Mapplethorpe antwortete: »Ich habe auch noch eins mit zwei (Fäusten).«
Genau eine derartige Provokation muß man bei diesem Fotokünstler erwarten: Sex – die ganze Breite, Sadomasochismus in den brutalsten Praktiken. Ausgestellt sind davon nur zwei Werke: Dominik und Elliot sowie B. Ridley und L. Heeter. Der hinterlassene Karton mit den schlimmsten SM-Fotos muß vorläufig ungeöffnet bleiben. Mapplethorpe übernimmt Inhalte in die Fotografie, »die für ihre Zeit unerträglich sind« (Celant). Die totale Enthemmung beim Sex ist Mapplethorpes Ziel. Denn, so sagte er es jedem: » … ich bin katholisch aufgewachsen«.
Eingeschlossen in seine Bildwelt sind homo- und heterosexuelle Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen, nie aus der Perspektive des Voyeurs, sondern aus der eines Partners. Die psychosexuelle Disposition zur geschlechtlichen Erregung durch Gewalt wird von Mapplethorpe immer wieder angesprochen: »Man nimmt pornographische Bilder und bringt sie dazu, über den eigenen Schatten zu springen.« Das heißt, er will seine Sujets übers Foto im Reich der wahren Kunst ansiedeln. Klassiker wird er auch bereits genannt. In Galerien werden seine Fotos um sechstausend Euro gehandelt.
Wie kann man einen Künstler museal präsentieren, dem es »egal ist, ob es sich um Porträts handelt, um Schwänze oder um Blumen«? Unanständig ist die Überfülle an Genitalien, das Pfeifen aufs Schamgefühl, das Aushebeln aller Tabus. Alles, um einem einzigartigen Taumel von Liebe, Sex und SM-Pornographie zu folgen.
Der findige Kurator vom New Yorker Guggenheim-Museum, Germano Celant, kam auf die frappierende Idee, Mapplethorpe für die Deutsche Guggenheim in Berlin ganz anders zu präsentieren. Er stellt ihn in die Tradition des europäischen Manierismus. Nirgendwo wird ungehemmter geliebt, miteinander gerungen und gekämpft als in der manieristischen Körperwelt. Frauenraub, Homoerotik, mit gespreizten, blickfrei geöffneten Beinen durch die Lüfte zu fliegen, vom Liebesrausch in die Wolken gewirbelt zu sein, das alles ist um 1600 gang und gäbe bei den niederländischen Manieristen, den Malern Hendrik Goltzius, Cornelis Cornelisz und Bartholomäus Spranger, bei den Bildhauern Adrian de Vries, Giovanni da Bologna und Benvenuto Cellini. Stecher haben berühmte Werke in Kupferstichen umgesetzt. Auf diese Weise eroberte sich die Druckgrafik im 17. Jahrhundert den europäischen Kunstmarkt. Die niederländischen Akte sind eingekleidet in biblische und mythologische Geschichten. Mapplethorpes figurale Gestik ist nahezu identisch mit den Altvorderen, aber total auf sich selbst zurückgeführt.
Diese Parallelen zwischen den Meistern um 1600 und Mapplethorpe werden in der Ausstellung thematisch gruppiert. Die Rechnung der Veranstalter ist aufgegangen. Angesichts des Vergleichs mit der klassischen Tradition steigt Mapplethorpe auf eine ästhetische Höhe. Mit Fug und Recht wird man nun sagen können, daß er zu den Großen des 20. Jahrhunderts gehört. Mapplethorpe bevorzugte die gleichen schwarzen (Ken Moody) und weißen Fotomodelle (Robert Sherman). Ausgewählt sind hochtrainierte Bodybuilder, Fotomodelle und Tänzer, also Menschen, die ihren Körper berufsmäßig präsentieren. »Ich fotografiere nie etwas, das mit mir nichts zu tun hat.« Die schwarzen Körper, meist Torsi, wirken wie griechische Bronzen oder Marmorskulpturen. Sie glänzen. Das Haar ist geschoren. Licht und Schatten modellieren Tiefe. Fleisch ersetzt Bronze. Nicht anders wirkt der antike Herkules Farnese, wenn Goltzius die Marmorskulptur in einen Stich umsetzt.
Mapplethorpe zeigt die Posen von Bodybuildern, Hintern, Arme, Schenkel – einzeln oder im Zusammenspiel, gebeugte Rücken, wie Bögen hart gespannte Arme. »Thomas« ist in eine Tonne eingesperrt, er tastet den Kreis aus, bleibt darin eingefangen. Daneben stehen Die Himmelsstürmer von Hendrik Goltzius: Ixion, Phaeton, Ikarus und Tantalus. Sie bleiben in ihren Rundbildern gefangen bis zum ihrem qualvollen Tod.
Celant fand einen Partner in der St. Petersburger Ermitage. Sie besitzt eine der größten Reproduktionsstich-Sammlungen der Welt. Ausgestellt sind 120 Fotos, davon 57 von Mapplethorpe und 45 Reproduktionsstiche. Einige Plastiken von Michelangelo, Cellini und da Bologna steuerte die Robert Mapplethorpe Foundation bei. Als Mapplethorpe im Jahr 1989 an Aids starb, legte er im Testament die Gründung einer Foundation fest, die sich in den Dienst von aidskranken Künstlern stellt.

Robert Mapplethorpe und die klassische Tradition: Fotografien und manieristische Druckgrafik, Deutsche Guggenheim Berlin, bis 17. Oktober, täglich von 11 bis 20 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr, montags Eintritt frei, Katalog 34 Euro; www.deutsche-guggenheim.de