Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 2. April 2007, Heft 7

Lilis Tagebuch

von Renate Hoffmann

Im Berliner Ephraim-Palais (Stiftung Stadtmuseum) gilt es, eine Ausstellung zu besehen: Biedermanns Abendgemütlichkeit – Berlin von innen 1815-1848. Sie umfaßt eine Zeitspanne, in der die napoleonische Ära zu Ende ging, und die Rückführung alter, in Teilen der Bevölkerung verhaßter Verhältnisse begann. Mit Zwängen, Einschränkungen, scharfer Reglementierung der Meinungsfreiheit. Bis sich der angestaute Zorn in der Märzrevolution entlud.
In diesen Jahren überwog anfangs die Enttäuschung all derer, die sich in den Befreiungskriegen mit Leib und Leben eingesetzt hatten. Und dem fortschrittlichen Geist die Tür geöffnet sahen. Die Tür schlug zu. Man zog sich ins Privatleben, in die Häuslichkeit zurück. Letztlich der gangbare Weg, um reaktionären Umtrieben auszuweichen, trotzdem neues Gedankengut zu hegen und andere Werte zu setzen. Auf diese Weise wuchs eine eigenständige Bürgerkultur.
Lange Zeit wurde die Periode abfällig als Idylle betrachtet, als rückschrittlich – eben »biedermeierlich«. In die Zusammenhänge eingeweiht, überprüft man sein Urteil. Dazu bietet die Ausstellung gute Gelegenheit; nachdenklich stimmend, vergnüglich und anregend.
Joseph Victor von Scheffel (1826-1886) schrieb eine geistreiche Spöttelei über diesen historischen Abschnitt. Ihre Überschrift wählte man zum Thema: Des Biedermanns Abendgemütlichkeit. Vor meiner Haustür steht ’ne Linde, / In ihrem Schatten sitz’ ich gern, / Ich dampf’ mein Pfeiflein in die Winde / Und lob’ durch Nichtstun Gott den Herrn … Amen.
In den Räumen begibt man sich auf einen kultursoziologischen Spaziergang, der durch zehn Stationen führt: Vereinsleben; Hausmusik; Liebesgaben und Angebinde der Freundschaft; Geselligkeit; »Berlin, wie es ist und – trinkt«; Tagebücher … Hier verhalte ich. Diese persönlichen Äußerungen, in denen man Einblicke in das Wesen eines Menschen gewinnt und den Zeitgeist herausfiltern kann – sie wecken meine Neugier.
Ausgestellt und aufgeschlagen sind Tagebücher der Lili (Elisabeth) Parthey (1800-1829), einer Enkelin des Berliner Buchhändlers, Verlegers und Schriftstellers Friedrich Nicolai (1733-1811). Der mit Lessing und Moses Mendelssohn Befreundete. Dessen Allgemeine deutsche Bibliothek als maßgebendes Werk der Aufklärung in Deutschland gilt. Friedrich Parthey wird sein Schwiegersohn und übernimmt späterhin Nicolais Buchhandlung und Geschäfte.
Lili erhält durch das Elternhaus die denkbar besten Bildungsmöglichkeiten. Ihr musikalisches Talent fördert Carl Friedrich Zelter, Leiter der Singakademie. Der Freundeskreis der Familie Parthey ist groß, die kultivierte Geselligkeit wird geschätzt. Wer in Kunst und Wissenschaft guten Namen hat, verkehrt bei Partheys. Christian Rauch, der Bildhauer, gehört dazu; Wilhelm Schadow, der Maler, auch Schinkel; Familie Wilhelm Humboldt; der Arzt Hufeland, Friedrich Schleiermacher. In dieser Umgebung wächst Lili auf.
Gustav Parthey, der Bruder, sagt von ihr: »In dem weiten geselligen Kreise unseres Hauses waltete meine Schwester Lili als das anregende und belebende Prinzip. Sie übte, ohne es zu wollen … auf alle ihre Umgebungen eine anziehende Kraft aus.«
Und Wilhelm Schadow malt sie. Das große Bildnis im Goldrahmen hängt in der Ausstellung. Lili als schöne kindlich-sinnend blickende Frau. Über dem grünen geschürzten Kleid trägt sie ein rotes Umlegetuch und hält ein Buch in der Hand. Rosen zur Seite und hohe Parkbäume im Hintergrund.
Dieses mädchenhafte Wesen schreibt in zwanzig Tagebüchern nieder, was in ihrem kurzen Leben geschieht. Die Schriftzüge sind zierlich und leicht nach rechts geneigt. Lili schildert Alltäglichkeiten, persönliche Nöte, kulturelle und politische Ereignisse, Reiseeindrücke. Empfindsamkeit liegt über allem.
1823 besucht sie die »Böhmischen Bäder«. In Marienbad hat Lili eine Begegnung, die sie als »Culminationspunkt« ihres Lebens betrachtet. Sie trifft Goethe. Von seinem Freund Zelter soll ihm die Berlinerin »Gruß und Kuß« überbringen.
23. 7. Welch ein Tag – o dio! … Ich habe ihn gesehen, gesprochen, seine Hand gehalten, ihn geküßt, und er hat mir schöne Dinge gesagt! Nicht nur das! Der Altklassiker bedichtet sie. An Lili. Du hattest gleich mir’s angethan, / Doch gewahr ich neues Leben; / Ein süßer Mund blickt uns gar freundlich an, / Wenn er uns einen Kuß gegeben. M.B. 23. 7. 23 G.
Kaum geküßt – schon fließt der Reim. Da hatte es unserem Meisterdichter in Marienbad nicht nur Ulrike von Levetzow angetan, sondern auch Lili Parthey.
Im Folgejahr heiratet die musisch veranlagte Schöne den Komponisten Bernhard Klein. Gemeinsam mit Bruder Gustav und dessen Frau beginnt die Hochzeitsreise nach Italien. Lili berichtet. Von Licht und Landschaft, Kunstschätzen und Ausflügen. Auf der Rückfahrt macht die Gesellschaft am Lago Maggiore Halt.
Dienstag 28. 6. (1825) Schönes Wetter und Weg. Aufenthalt an der Piemontesischen Grenze. Endlich erblickten wir die famosen (Borromäischen) Inseln. Isola Bella gleicht wirkl. einem Zauberschiff, man sieht von Dieser Seite nichts als die Terrassen und Gärten. In Stresa schifften wir uns ein … Der schöne See war etwas unruhig. An der Seite beim Palazzo ausgestiegen – ein freundlich. Custode führte uns in alle Winkel … Aus dem 1ten Stock kömmt man auf die oberste Terrasse. Göttliche Aussicht. Es sind 10 Terrassen mit Orangenwänden … Der Garten ist im schönsten Flor u. der Stolz des Gärtners. Viel seltene u. ausländische Blumen – Wald von Hortensien, unglaublich groß und schön. 2 Lorbeerbäume, 96 Fuß hoch, Zwillinge aus 1 Stamm. 2 Tage vor der Schlacht bei Marengo (14. Juni 1800, d. A.) hat Napoleon hinein – geschnitten BATTAGLIA! Es war schon fast verwachsen. Prächtige Cypressen, Magnolien in gz. Herrlichkeit und Fülle – es ist eine Feen-Anlage. Hecken v. feinem Jasmin … Besonders schön ist eine Allée v. Akazien zwischen denen blühende Granaten stehen, die durch Festóns von kleinen Röschen verbunden sind. Man meint, in ein Zauberland gekommen zu seyn …
Keine Touristik-Werbung ist wirksamer als Lilis Beschreibung. Meine Reisepläne werde ich in diesem Jahr wohl ändern.

Biedermanns Abendgemütlichkeit – Berlin von innen 1815-1848. Ausstellung im Stadtmuseum Berlin, Ephraim-Palais, bis 29. April 2007, dienstags, donnerstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr; mittwochs 12 bis 20 Uhr