Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 30. April 2007, Heft 9

Kurze Auftritte

von Helmut Höge

Die hiesigen Medien schaffen Arbeitsplätze. Es war bisher von »Location-Agenturen« als Ich-AGs die Rede, daneben gibt es aber auch noch Gelegenheitsjobs in Form von Auftritten. Die Reinickendorfer »Agentur Rosemarie Fieting« vermittelt zum Beispiel »Look-Alikes« – also Leute, die aussehen wie irgendein Prominenter und sich womöglich auch noch so verhalten beziehungsweise so reden, singen oder tanzen können. Daneben vermittelt Frau Fieting Haustiere – für Werbeaufnahmen, TV- und Spielfilme.
Auch Zoo und Tierpark sind inzwischen auf den Geschmack gekommen – allein der kleine verstoßene Eisbär Knut, der fünfzehn Bodyguards hat, spielte bereits Millionen ein. In der Stadtzeitung scheinschlag hat gerade der Elendsreportagen-Vermittlungsagent Waldemar Olesch über einige seiner »Problemfälle« berichtet, die er verkaufte: Sein »Geschäft« begann mit einem befreundeten TV-Journalisten, der einen verwahrlosten Hartz-IV-Empfänger mit vielen Kindern in einer Platte suchte. Olesch fand ihn und bekam dafür fast ebenso viel wie der Arbeitslose: 250 Euro. Als nächstes war sein Nachbar, ein Afrikaner dran – für 150 Euro: »Wir räumten sein Bettgestell aus dem Zimmer und legten die Matratze auf den Boden. Die Fenster wurden verdunkelt und ein paar leere Bierflaschen in die Ecke gestellt. Dann munkelte er in gebrochenem Deutsch etwas von ständiger Angst, in der er lebe, in die Kamera … Sein Gesicht und seine Stimme wurden unkenntlich gemacht. Ein reißerisch klingender Untertitel sorgte für die richtige Dramatik.«
Erste »Bedenken« kamen Olesch beim Rummel um die Rütli-Schule: »Ein Fotograf fuchtelte so lange mit seiner Kamera direkt vor dem Gesicht eines Jugendlichen herum, bis dieser die Kamera wegschlug. Das waren dann auch die Skandalfotos, die wir am nächsten Tag in der Bild-Zeitung zu sehen bekamen. Fast alle Kamerateams boten Geld«: 50 Euro wollte RTL für ein Interview rausrücken. 150 Euro bot der Tagesspiegel-Fotograf einem Schüler für ein Foto mit einem Messer in der Hand. Das Gesicht des Jugendlichen wurde nicht, wie zuvor vereinbart, unkenntlich gemacht. Auch der Spiegel hielt sich nicht an eine solche Vereinbarung. »Ein Jugendlicher wurde für 500 Euro plus Spesen von Günter Jauch zu Stern-TV eingeladen. Reporter der Bild-Zeitung boten 350 Euro für gestellte Gewaltszenen und erfundene Äußerungen.«
Ein russischer TV-Journalist wurde wütend, als ihm ein Jugendlicher vor der Kamera mehrmals die gewünschte Antwort verweigerte, für die er ihm zuvor 300 Euro geboten hatte. »Zur Zeit sucht ein Sender Jugendliche, die sich bei der Verübung von Straftaten filmen lassen«: Für eine »Autotür zerkratzen«, eine »Wand besprühen« oder einen »Reifen zerstechen« gibt es bis zu 300 Euro.
Olesch hat sich auch einmal selbst vermittelt: Als es darum ging, daß man allen für das Elend Verantwortlichen in den Hintern treten müßte, polsterte er seinen Hintern mit Schaumstoff aus und fragte Passanten auf der Straße, ob sie ihn nicht, quasi stellvertretend, in den Arsch treten wollten – für einen Euro. »Anschließend gab es für sie auch noch eine Urkunde. Ein Kamerateam filmte mich dabei, und schon am nächsten Tag lief die Aktion im Fernsehen.«
Ich selbst sprang neulich für einen erkrankten Schauspieler ein und gab für 250 Euro einen Stasigeneral – was ja heute auch eine Art Watschenmann ist. Zuvor hatte ich den Frührentner Bernd Wilhelm interviewt, der viele Tiere hat, die fast alle eine »Leidensgeschichte« hinter sich haben. Er wohnt mit ihnen am Rande der Stadt und vermietet sie »für ihren Lebensunterhalt« oft und gerne an die Volksbühne: »Alles im erlaubten Rahmen des 300-Euro-Zugewinns.«
Die Tiere müssen nicht auftreten, wenn sie nicht wollen: Die Perserkatze »Missy« zum Beispiel »wurde schlecht behandelt«: Jetzt liegt sie die meiste Zeit hinterm Ofen in einem Pappkarton. Benno, der kurzbeinige schwarze Hund, gehörte einer Fixerin, die jetzt in einem Haus der Treberhilfe wohnt: »Aus ihm könnte noch mal was werden.« »Fuchsy« wurde angefahren am Straßenrand gefunden. Der Kapuzineraffe »Kingkong« »arbeitet zwar nicht gerne, ist aber dafür nie böse«. Er mag am liebsten Limonade und Gummibärchen und liegt abends neben der für Kunststücke zu alt gewordenen Schäferhündin Sandra. Alle Tiere, auch die Waschbären, der Nasenbär, die Pferde, die Zwergschweine und die Hühner verstünden sich untereinander: »Das müssen sie auch, sonst geht das gar nicht.«