Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 30. April 2007, Heft 9

Kloßbrühe und Pulleralarm

von Thomas Heubner

Schwitzend und entnervt hantierte Mandys Mann am Kochherd. Das fremde Terrain hatte er jahrelang nicht betreten. Doch pünktlich zum Beginn des großdeutschen Wirtschaftsaufschwungs hatte einer dessen vier Hauptfeinde – Frühling, Sommer, Herbst und Winter – wieder zugeschlagen. Durch die schlechtwetterbedingte Krise in der Baubranche war Dieter als Arbeitssuchender ins Jobcenter katapultiert und von dort zu einer Weiterbildung als Kaltmamsell delegiert worden, um endlich in der Küche seiner Frau die erste Bewährungsprobe zu bestehen. Freiwillig hatte er sich verpflichtet, für die Familie am Sonntag Thüringer Klöße, Rotkraut und Rouladen zu kochen. Ein gewagtes Experiment. Mandy hätte es wissen müssen, war doch im Horoskop zu lesen, daß es mit ihrer Mondknotenachse – auch Schicksalsachse genannt – nicht zum besten stand.
Neugierig schaute sie immer wieder in die Küche und beobachtete, wie Dieter unbekümmert und unbedarft herumfuhrwerkte. Als sie ihn zu mehr Tempo animieren wollte, antwortete er trotzig, er sei hier auf der Arbeit und nicht auf der Flucht. Das Rouladenfleisch behandelte er, als gäbe es keinen Unterschied zwischen Kuschelparty und Hardcorestunde bei einer Domina. Und die rohen Klöße hielt er in seinen Maurerhänden wie die deutschen Landser die lustigen Totenschädel, die sie bei ihrem Enduring-Freedom-Einsatz am Hindukusch gefunden hatten.
Um so größer das Entsetzen, als nach zwanzig Minuten Kochzeit die Klöße sich in Kloßbrühe verwandelt hatten, einer badischen Flädlesuppe ähnelnd. Kein Zweifel: Dieter hatte seine Untauglichkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Und grimmig lächelnd bestätigte Mandy ihrem Mann, daß es für jeden Job in der Welt jemanden gibt, der ihm nicht gewachsen ist.
Dieter kannte selbst das Peter-Prinzip, er war nicht der einzige Betroffene. Flugs verwies er auf den einstigen Kanzleramtsminister, der ebenfalls die Stufe seiner Unfähigkeit erklommen hatte und nun als DRK-Präsident Spendengelder zusammenschnorrt. Sofort erinnerte Mandy an das Rote Kreuz der DDR, wohin damals schon unbrauchbare Funktionäre des Jugendverbandes weggelobt wurden, um Generalsekretär und später Banker in Hamburg zu werden. Und am Ende mußten beide gemeinsam über den berühmten Liedermacher und Songtexter Lerryn lachen, der es sogar mal bis zum Vizevorsitzenden einer linksrevolutionären Partei gebracht hatte und nun als deren Vertreter im Bundestag von stattlichen Steuergeldern lebt. In dieser wichtigen Funktion urinierte er auch gern in der Öffentlichkeit, ließ sich dabei auch nicht von Mitarbeitern des Ordnungsamtes verunsichern, die sofort Pulleralarm ausgelöst und ein Strafgeld verhängt hatten, sondern stritt vorm Amtsgericht mutig für die Interessen des notdürftigen Prekariats. Das Aufzählen solcher Fälle wollte kein Ende nehmen …
Dieter lachte sein Nußknackerlachen, Mandy wischte sich die Freudentränen aus den Augen. Die kollektive Erinnerungsarbeit hatte Dieters Versagen relativiert. Mandy lobte ihren Gatten saftig, schabte die Kochtöpfe aus und servierte angebrannte Rouladen und entfärbtes Rotkraut. Nur die Klöße fehlten.