Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 30. April 2007, Heft 9

Die Belohnung

von Renate Hoffmann

Die Wandersaison ist eröffnet. Es lockt das Taubertal mit seinem gleichnamigen Flusse. Wertheim, die Stadt an der Taubermündung in den Main, trägt gästefreundliche Züge. Zwischen betagten Fachwerkhäusern erfreuen sich Gassen und Sträßchen regen Touristengebummels. Tische und Stühle stehen in der Sonne, umkreist von geschäftigem Bedienungspersonal. Mollige, ältere Damen genießen die warme Luft, gewaltige rosafarbene Eisbecher und das Defilee in der Fußgängerzone. Vom Burgberg herab tönen hektische Rhythmen. Ein »Rockfestival« ist im Gange, so verkünden es bunte Plakate an Bäumen und in der Auslage des Sportladens.
Am kunstvoll angelegten Treppenaufgang zur Burg, neben der Kilianskapelle, finde ich einen Personalausweis. Verlierer: ein junger Mann. Ich steige die Stufen hinauf. Fliederduft weht mir entgegen. Der Ausblick auf Stadt und Flußtal weitet sich; die Frequenzen gewinnen zunehmend an Heftigkeit.
Vor dem Einlaß zur wuchtigen Burgruine herrscht reges Treiben. Junge Leute mit phantasievoll gestylten Frisuren, stachelhals- und stachelarmbebändert, in grelle Farben gehüllt, lagern auf dem Rasenplatz und geben begeisterte Schreie von sich.
Dem Kartenverkäufer trage ich in angepaßter Lautstärke mein Anliegen vor – und erhalte Zutritt. Sprung ins dröhnende Klanggewitter. Über Burghof, Bühne und buntem Getümmel flattert eine Totenkopf-Fahne. Als wohl verirrten Fremdgänger begleitet man mich zur Veranstaltungsleitung. Dort schildere ich nochmals, unter Zuhilfenahme meines atemgestützten vollen Stimmumfanges, die Dokumentfindung, die Umstände und Vermutungen. Man schreitet unverzüglich zur Tat.
Geräuschstopp »Mal herhör’n! Heißt jemand von Euch So-und-so und hat seinen Ausweis verloren?!« »So-und-so« löst sich aus der Menge und kommt auf mich zu. Er sagt: »Das ist aber nett von Ihnen. Kann ich was für Sie tun? Einen Drink?« Ich sage: »Danke, nein. Es ist schon okay!« (»Okay« ist ein Versuch, mich der Situation anzupassen.) Er sagt, nach kurzem Überlegen: »Dann werden Sie Ehrengast von unserem Rock-Konzert!« Ich sage … nichts mehr und setze mich still und ergeben auf den mir zugewiesenen Platz. Man rückt verständnisvoll zur Seite.
Ich schwanke zwischen Höflichkeit und Fluchtabsichten und beschließe, fürs erste durchzuhalten. Persönliche Vorgabe: dreißig Minuten. Verstohlene Blicke von rechts und links. Gelassen bleiben! Und Zugabe von weiteren fünfzehn Minuten. Nun aber dürften wir quitt sein, »So-und-so« und ich. Gestikulierend verabschiede ich mich (ein Wort hätte niemandes Ohr erreicht).
Sollte sich jedoch der Vorfall irgendwann wiederholen, so werde ich die Fundsache schleunigst zur nächsten Polizeistation bringen. Es wäre ja möglich, daß diesmal der Besitzer ein Bungee-Jumper ist und mich zu einem Tandem-Sprung einlädt.