Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 19. Februar 2007, Heft 4

Kanonenfutter Kind

von Hajo Jasper

Sie sind Kriegsveteranen. Die meisten sind kaum älter als zwanzig, maximal 25 Jahre. In Liberia zum Beispiel, in Angola, Moc˛ambique und Ruanda, der Elfenbeinküste, Kongo, Uganda oder Sierra Leone kann man sie antreffen. In Myanmar, den Philippinen und Osttimor, in Guatemala, Afghanistan, Tschetschenien, Sri Lanka oder Kolumbien ebenso; die einen unversehrt, viele verstümmelt, nahezu alle auf Lebenszeit traumatisiert. Das Verheizen von Kindern in Kriegen gehört zum finstersten, was Menschenverachtung je hervorgebracht hat – deutsch-faschistisches Gebaren in noch immer junger Vergangenheit übrigens inklusive. Vor einem Entrüstungsexport sollte man sich hierzulande also ebenso hüten wie etwa in Großbritannien oder den USA, die im Irak auch Minderjährige einsetzen.
Letzteres hat just eine Konferenz in Paris an den Tag gebracht, die sich – wieder einmal! – mit dem Thema Kindersoldaten beschäftigte. Über 250000 Kinder, so ist von den Veranstaltern UNICEF und der Republik Frankreich konstatiert worden, werden weltweit als Kanonenfutter für die wie auch immer gearteten Ambitionen von »Erwachsenen« verheizt. Wer mag, kann die konstatierte Tatsache rühmen, daß diese Zahl etwas kleiner ist als bei der Vorlage ähnlicher Berichte vor drei Jahren. Gewiß, dort, wo seither Konflikte zumindest eingedämmt werden konnten (in Angola und Mocambique etwa), hat auch die Zahl der aktiven Kindersoldaten abgenommen; anderswo sind aber längst weitere hinzugekommen. Mindestens zehn Regierungen haben zwischen 2001 und 2004 an vorderster Kriegsfront Kinder eingesetzt, in rund sechzig Ländern haben Konfliktparteien Minderjährige skrupellos angeworben, in einer fast gleichgroßen Zahl von Staaten werden schon Sechzehn- und Siebzehnjährige für den Waffendienst rekrutiert.
Es ist nicht so, daß die internationale Gemeinschaft all dem ungerührt zusehen würde. Erst (erst!) 2002 war es der UNO gelungen, per freiwilligem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention 116 Staaten zur Unterzeichnung der Verpflichtung zu veranlassen, den Kriegseinsatz von Kindern und Jugendlichen zu verbieten und zu ächten. Nur wenig früher war auf diesem Wege auch das Mindestalter für die Zwangsrekrutierung in reguläre Streitkräfte von fünfzehn auf achtzehn Jahre angehoben worden. Was »Freiwillige« in Rebellengruppen, diversen Bürgerwehren und Milizen betrifft, ist es allerdings bei fünfzehn Jahren geblieben.
Geblieben ist vor allem aber die traurige Bestätigung, daß jener Teufelskreis ungebrochen funktioniert, in dem sich die Kriegsgeilen dieser Welt von »demokratischen« Präsidenten bis zu den regionalen Warlords jederzeit skrupellos auch der Kinder bedienen, um ungeachtet aller Lauterkeitsbekundungen nichts anderes durchzusetzen als ihre jeweiligen Machtgelüste. Nicht nur in den Kriegszeiten selbst; auch demobilisierte Mädchen und Jungen sind oft genug als Faustpfand sogenannter Friedensverhandlungen benutzt worden, von den weitgehend ausbleibenden Bemühungen um ihre Reintegration in ein gewaltloses Zusammenleben ganz zu schweigen. In einer verhängnisvollen Folgerichtigkeit werden aus den als Soldaten mißbrauchten Kindern oft genug die Haupttäter kommender Kriegshandlungen; sie haben in ihrem Leben nichts anderes kennengelernt.
Eine wirkliche Hoffnung auf realisierbare Sanktionen gegen diese globale Variante der Menschenrechtsverletzung hegt ehrlicherweise kaum einer der international Engagierten. Bisherige Strafandrohungen haben sich als weitgehend undurchsetzbar erwiesen. Ob die »Pariser Prinzipien« und deren vorgesehene Erhebung zu einem verpflichtenden UNO-Beschluß daran etwas ändern werden, ist leider zu bezweifeln.
Vergleichbare Projekte, die solcherart Pessimismus provozieren, hat es ja bereits gegeben. 1975 zum Beispiel hatte die UNO eine Dekade in Kraft gesetzt, in deren Verlauf alle Industriestaaten ihre Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes anheben sollten und wollten. Erreicht haben das bis heute lediglich die Niederlande, Norwegen, Dänemark und Schweden; die potentesten Länder wie etwa die USA, Japan oder auch Deutschland, sind davon noch weit entfernt.
Unabhängig davon, daß es bei Entwicklungshilfe freilich um mehr geht als um reine Geldtransfers, »bettelt« die UNO derzeit darum, daß die Industrieländer wenigstens 0,54 dieses Wertes gewährleisten – und zwar bis 2015!
Nichts anderes als Desinteresse und Heuchelei erleben wir heute, wenn es um Menschheitsfragen geht und sich vier der größten Umweltverschmutzer wie die USA, Rußland, China oder Indien der Teilnahme an der massiven Absenkung von CO2-Ausstoß verweigern, obwohl erklärtermaßen das Schicksal des ganzen Globusses auf dem Spiel steht.
Die Bemühungen der Pariser Konferenz zum Thema Kindersoldaten und ihr Ergebnis in Ehren. Indes: Wenn überhaupt, dann könnte vielleicht der Internationale Strafgerichtshof einen Durchbruch erreichen. Immerhin verfügt er über die Handhabe, die »Erziehung oder Aufnahme von Kindern unter 15 Jahren in die nationalen Streitkräfte oder bewaffneten Gruppen oder ihren aktiven Einsatz bei Feindseligkeiten« als Kriegsverbrechen zu verfolgen. Das ist als Konjunktiv in Anbetracht der Gegebenheiten freilich zu wenig; aber es könnte ein wirklicher Anfang sein für das Ende von Kindern als Kanonenfutter.