Terrorismus-Legenden

von Erhard Crome

Nachdem Bushs Männer die US-Wahlen im November 2006 verloren haben, Rumsfeld, der zuvor den imperialen Feldherrn zu geben sich bemühte, abtreten mußte und selbst Kissinger mitzuteilen wußte, der Irak-Krieg sei nicht mehr zu gewinnen, bleibt die Frage, was denn nun eigentlich stattgefunden hat. Das Konzept »des Terrorismus«, der ad infinitum zu bekriegen sei, hat offenbar als der allgemeine Kriegsvorwand zu wirken aufgehört. Jedenfalls glaubt all dem nicht einmal mehr die Mehrheit der US-amerikanischen Wähler.
Nur Wolfgang Schäuble und seine Amtsbrüder in der EU nutzten windige Geheimdienst-»Erkenntnisse« von vorgeblichen Terrorismusgefahren, um das allgemeine Unsicherheitsgefühl zu nähren, indem beim Einchecken auf EU-Flughäfen nun auch Rasierwasser und Zahnpasta extra zum Durchleuchten gegeben werden müssen. Mit dem Aufstellen von Panzern der Bundeswehr in den Stadien zur Verteidigung des deutschen Tores hatte es bei der Fußballweltmeisterschaft nicht so recht geklappt, da wurde dann rasch die vom britischen Geheimdienst produzierte Legende von neuerlichen Terrorismusgefahren in Gestalt von Flüssigkeiten im Handgepäck genutzt, um die »Sicherheitsbestimmungen« der EU erneut zu verschärfen.
Das Hauptergebnis ist, daß der erstaunte Reisende im Duty-Free-Shop in Johannesburg oder Santiago de Chile nun nicht mehr Wein kaufen darf, der im Handgepäck transportiert wird, sondern nur noch innerhalb der EU. Damit hat der Terrorismuswahn wenigstens für die EU-Wein-industrie gegenüber der südafrikanischen oder chilenischen Konkurrenz einen positiven Effekt. Und der Reisende steht staunend dabei, und weiß nicht so recht, wie ihm geschieht. Schuld scheint immerhin der »islamische Terrorismus«.
Wer aber hat diesen geschaffen? Die Legendenbildung der westlichen Staatspropaganda hebt darauf ab, der Islam als solcher würde Terrorismus und Gewalt produzieren, weil er vormodern sei, die Aufklärung in seinen Reihen nicht gewaltet habe und er an sich eine ursprüngliche Feindlichkeit gegenüber der westlichen Moderne in sich trage. Aber ist das der historische Kontext?
Alles, was wir heute über die Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems seit etwa zweihundert Jahren wissen, läßt daran zweifeln, es hätte ein »islamisches« Refugium gegeben, in dem die vormodernen Deutungsmuster gleichsam überwintert hätten, um seit dem 11. September 2001 plötzlich hervorzubrechen. Insofern ist genauer nach den Kontexten zu sehen.
Im Jahre 1960 wurde auch der an Rohstoffen reiche Kongo unabhängig, der zuvor jahrzehntelang belgische Kolonie war. Der Führer des Unabhängigkeitskampfes, Patrice Lumumba, wurde von den USA rasch als »ein afrikanischer Castro« identifiziert und umgebracht. Als 1963 ein erneuter Aufstand im Kongo gegen das neokoloniale Regime ausbrach, wurde eine westliche Söldnertruppe in Marsch gesetzt. Für die bedeutete, eine Stadt zu besetzen, »Türen durch Bazooka-Geschosse wegzusprengen; hieß, in Geschäfte zu gehen und alles mitzunehmen, was beweglich war und was sie haben wollten … War die Plünderung beendet, ging es ans Morden. Das Schießen währte drei Tage. Drei Tage der Exekutionen, des Lynchens, des Folterns, der Schreie und des Schreckens.« Das schrieb ein italienischer Augenzeuge über jenen Einsatz. Die DDR-Dokumentaristen Heynowski und Scheumann machten damals einen Film über »Kongo-Müller«, einen ehemaligen Wehrmachtsoffizier, der als gutbezahlter Söldner jenes Einsatzes in die Kamera grinsend über sein Mords-Treiben redete.
Nachdem das im Kongo so probat funktioniert hatte, wurden die Terrororganisationen RENAMO in Mosambik und UNITA in Angola vom Westen gegen die nationalen Befreiungsbewegungen dort in Stellung gebracht, mit einer ähnlichen Vorgehensweise. Nach dem Sieg der Sandinisten in Nikaragua, wurde das Terror-Konzept nach Lateinamerika verpflanzt. Die USA schufen die »Contras«, und die CIA produzierte ein Handbuch des Terrors. Es zielte auf die »Neutralisierung« ziviler Amtspersonen und eine »selektive Anwendung von Gewalt«. »Es ist möglich«, hieß es dort, »sorgfältig ausgewählte Objekte geplant zu neutralisieren, so beispielsweise Richter, höhere Verwaltungsbeamte, Polizisten, Staatssicherheitsleute etc.«
Neutralisieren meinte ermorden. Und ermordet wurden auch Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer. US-Präsident Reagan schwadronierte von einem Kampf der »Freiheit« gegen den Kommunismus. Am Ende wurde das terroristisch verunsicherte Volk Nikaraguas zu »freien« Wahlen gerufen, die Sandinistas ließen sich darauf ein, um das Sterben zu beenden, und verloren die Wahl. Die erneute Wahl Ortegas jetzt steht auf einer anderen Seite des Buches der Geschichte.
Nachdem das Terrorkonzept in Afrika und in Lateinamerika so gut funktioniert hatte, wurde es nach Afghanistan verpflanzt. Hier wurde es mit der Idee des heiligen Krieges, des Dschihad, ideologisch aufgeladen und der Krieg eskaliert, um der Sowjetunion in Afghanistan ihr »Vietnam« zu bereiten. Die Universität von Nebraska entwickelte Schulbücher für Kinder in Afghanistan, die mit 50 Millionen Dollar von USAID in Umlauf gebracht wurden. So gibt es Aufgaben im Mathematikbuch für die dritte Klasse, die so lauten: »Eine Gruppe von Mudschaheddin greift 50 Russen an. Bei dem Angriff werden 20 Russen getötet. Wie viele Russen sind geflohen?« Oder, für die vierte Klasse: »Die Geschwindigkeit eines Kalaschnikow-Geschosses beträgt 800 Meter pro Sekunde. Ein Russe befindet sich in 3200 Meter Entfernung von einem Mudschaheddin und dieser zielt auf den Kopf des Russen – errechne, wie viele Sekunden vergehen, bis die Kugel die Stirn des Russen trifft.«
Nach der Niederlage der UdSSR und ihrem Abzug aus Afghanistan und bei Fortwirken der Ideologie des Dschihad brauchte nur »der Russe« durch den US-Amerikaner oder überhaupt den westlichen Soldaten, der in Afghanistan agiert, darunter den aus Deutschland, ersetzt zu werden, und schon ist das Muster erfüllt. Die Schulbücher aus den USA sind dort noch immer in Umlauf. Die Dschihadisten von heute sind das Produkt der Politik des Westens von gestern. Der Zauberlehrling läßt grüßen.
Nachzulesen ist all das in dem Buch von Mahmood Mamdani über die Wurzeln des Terrors (siehe auch Das Blättchen 16/2006). Man sollte es genauer lesen, schon dann, wenn man sich ärgert, die Zahnpasta und die Schönheitscreme am Flugplatz in Frankfurt extra vorweisen zu müssen. Der Westen rennt Schimären nach und Zombies, die er selbst geschaffen hat. Mamdani wird im Mai 2007 zu einer Lesereise in Deutschland sein. Es sollten ihm viele zuhören.

Mahmood Mamdani: Guter Moslem, böser Moslem. Amerika und die Wurzeln des Terrors, Edition Nautilus, Hamburg 2006