Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 11. Dezember 2006, Heft 25

Monty Pythons Erben

von Horst Jakob

Im legendären Streifen Das Leben des Brian gibt es die skurrile Szene, in der Judith, einzig weibliches Mitglied der Revoluzzer-Truppe Patriotische Volksfront, ihren Genossen die Nachricht von der bevorstehenden Kreuzigung ihrer aller Kombattanten Brian überbringt. Elektrisiert davon, ist den Jungs klar, was auf der Stelle zu tun ist: Eine Resolution muß diskutiert und beschlossen werden! Judith rennt kreischend davon …
Wie merkwürdig, daß ausgerechnet der CDU-Politiker Hermann Kues mich an besagte Sequenz erinnert hat. In einem TV-Beitrag des RBB ging es um das Berliner Anti-Rechts-Projekt exit, das Aussteiger und Opfer der rechten Szene unterstützt. Befragt, was Kues davon halte, daß exit seine Arbeit wird einstellen müssen, wenn die Mittel dafür, wie vorgesehen, gestrichen werden, antwortete der Staatssekretär im Familienministerium mit smarter Souveränität: »Man darf nicht den Eindruck erwecken, mit diesem und jenem Projekt wird das Problem gelöst. Das wäre eine völlige Verharmlosung des Rechtsextremismus, und deswegen hängt der Kampf gegen Rechtsextremismus auch nicht davon ab, ob ›exit‹ existiert oder nicht existiert.«
Ich weiß nicht, was man studiert haben muß, um eine solche Volte zu schlagen: Praktische Projekte gegen die Nazis sind also überflüssig, weil das Problem, welches sie bekämpfen, umfassenderer Natur ist. Respekt, auf diese Logik muß man erstmal kommen! Nun könnte man Herrn Kues rasch in den eigenen Erinnerungsskat drücken, wenn nicht so augenfällig wäre, daß die hohe Zeit von Hyperdialektikern seines Schlages ausgebrochen zu scheint. Gerade dort, wo es dringlich wäre, etwas Konkretes gegen handfeste Gefährdungen des Gemeinwesens und seiner demokratischen Verfaßtheit zu unternehmen, begründet man die Ablehnung solcher Maßnahmen mit der allzu großen Komplexität des Problems.
Gegen die NPD – laut Verfassungsschutzchef Fromm »eindeutig verfassungsfeindlich, da gibt es keinen Zweifel« – kann man also nicht restriktiver vorgehen, da sie ja eine demokratische Partei ist, die wegen der staatlichen Maulwürfe in ihren Reihen wiederum nicht verboten werden kann. Außerdem: Ein Verbot hülfe ja eh nicht viel, vielmehr müsse man sich mit den Rechten politisch auseinandersetzen und die Gesellschaft über deren Gesinnung umfassender aufklären.
Der Spekulation im Wirtschafts- und Finanzleben mit allem Gefahrenpotential, irgendwann wieder einen »Schwarzen Freitag« von der Unheilfülle des Jahres 1929 zu wiederholen, könne man nicht begegnen, weil der freie Fluß des Kapitals eine unverhandelbare Konstante dieses Gesellschaftssystems sei. Vielmehr müsse man ein Klima unter den Kapitaleignern schaffen, das diese zu Gemeinwohl verpflichtetem Tun und Lassen anregt.
Um ein drittes Beispiel zu nennen: Gewaltpopularisierungen – zum Beispiel über Videospiele – könnten und sollten nicht verboten werden, weil ein solches Verdikt ebenfalls nicht das Problem der wachsenden Verrohung und Menschenverachtung vornehmlich bei jungen Menschen beseitigen würde. Vielmehr müsse man aufklärend einen bewußten und verantwortungsvollen Umgang mit Gewalt herbeiführen.
Das Perfide dabei ist, daß all diese Einwände ja richtig sind. Natürlich stinkt diese Gesellschaft in mehr als einer Hinsicht vom Kopfe her und müßte demzufolge von Grund auf verändert werden. Und natürlich tut ein Maximum konzertierter Aufklärung, Bildung, also Kulturbeförderung Not, wenn unheilvolle Entwicklungen gestoppt werden sollen. Solange dies aber niemand wirklich tut – weil er nicht über die Möglichkeiten verfügt oder es gar nicht will –, sind hilfreiche Sofortmaßnahmen um so unerläßlicher; schließlich ist ja offenkundig Gefahr im Verzuge.
Natürlich: Ein NPD-Verbot allein löst das Problem der Neonazis und ihres Vordringens nicht. Bevor aber eine politische Auseinandersetzung mit ihnen und die Aufklärung der Gesellschaft Erfolge zeitigen können, wenn es sie denn wirklich gäbe, wäre den braunen Demagogen und Gewalttätern das Leben doch wohl zumindest deutlich schwerer gemacht und der Spielraum repressiver Handhabe gegen sie erheblich vergrößert.
Natürlich läßt sich das System des börsengehandelten Aktienkapitals nicht per einfachem Federstrich abschaffen; zumindest nicht in einer Gesellschaft, die sich auf solcherart Kapitalismus gründet. Aber Besteuern ließen sich Spekulationsgewinne sehr wohl so, daß zumindest nicht alle monströsen Gewinne am Fiskus vorbeigeschleust werden können.
Und natürlich löst ein Verbot von Gewaltvideos die wachsende Verrohung nicht, aber mit ihm wäre eine gesellschaftliche Ächtung von Gewalt und damit Normensetzung verbunden, die sich zudem auf Rechtsmittel stützen würde. Aber ach, unsere Administration, die zu schnellen praktischen Entscheidungen sehr wohl fähig ist, wie erst jüngst die Entsendung der Bundeswehr in den Nahen Osten, die Senkung von Sozialausgaben oder die Verschärfung des Ausländerrechts gezeigt haben, geht die Dinge »universell« an. Man bemerkt die Heuchelei – und ist mehr als verstimmt. Wer nicht wirklich etwas unternehmen will, der zerredet es, je »dialektischer«, um so besser. Wieder einmal verschließt man wissentlich die Augen, um sie sich, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, um so treuherziger zu reiben.
Übrigens: Die Patriotische Volksfront bei Monty Python hat sich irgendwann dann doch zur Tat entschlossen. Zum Ende des Films taucht sie vor dem gekreuzigten Brian auf – und verliest eine Solidaritätsadresse. Der ihnen folgende Trupp Fliegendes Suizidkommando ist handlungsentschlossen – und bringt sich zu Ehren des Märtyrers zu dessen Füßen um.
Immerhin: Die Jungs haben nicht darauf gewartet, daß ihre Feinde diese Arbeit erledigen …