Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 25. Dezember 2006, Heft 26

Flöhe

von Renate Hoffmann

Es gibt Flöhe, abgestimmt auf allerhand Säugetiere, Vögel und auf den Menschen. Der »Gemeine Floh«, der sich mit uns befaßt, heißt pulex irritans. Und man ist fraglos irritiert, wenn man eines Abends (oder Morgens) rötliche, juckende Pünktchen an sich entdeckt. Dann geht einem manches durch den Kopf, darunter auch: So, so – ein Floh.
Daneben gibt es unechte Flöhe, die nur so heißen, aber in Wirklichkeit keine solchen sind: Wasser-, Erd-, Blattflöhe. Die Wasserflöhe zum Beispiel gehören zu den Krebsen (Kleinstformate) und besitzen die lustige Eigenschaft, teils auf dem Bauch, teils auf dem Rücken zu schwimmen. Blattflöhe hingegen sind Springläuse! Bei diesem vorgestellten Sortiment könnte man denken: Unecht – doch auch nicht schlecht.
Abseits von exakten Systemen steht der »Floh im Ohr«. Er ist eine Imagination der Seele und mit herkömmlichen Mixturen kaum zu bekämpfen. Immerhin besitzt er soviel Beachtlichkeit, daß man ihm eine dreiaktige Komödie widmete. Georges Feydeau schrieb sie. Die letztgenannte abweichende Flohart stellt den Übergang zur gehobenen Klasse dar: Flöhe in Literatur und Kunst.
Obwohl der Befall mit den »seitlich zusammengedrückten, über Springbeine und saugende Mundwerkzeuge verfügenden Schmarotzern« kein Vergnügen darstellt, erhielten sie bereits im 16. Jahrhundert bleibende Erwähnung in einem Scherzgedicht. Der Flohiade. Verballhorntes Latein, burlesk aufgearbeitet. Und dem Tier auf den Leib gedichtet, welches »Mannos, Weibras et Jungfras etc., behuppere« und »spitzibus« sein Wesen treibe. Zu besonderen Ehren bringt es das stechende, saugende, hüpfende Insekt beim Oberklassiker Goethe. Aufnahme in den »Faust«. Bedacht mit einem honorigen Gesang. Vorgetragen von Mephistopheles in Auerbachs Keller. »Es war einmal ein König, / Der hatt’ einen großen Floh, / Den liebt’ er gar nicht wenig, / Als wie seinen eignen Sohn …« Dieser literarische Floh erreicht am Ende den Minister-Status und plagt ungestraft die Gesellschaft. Das Lied wird von der Trinkgemeinde begeistert aufgenommen: »Bravo! Bravo! Das war schön!«
Goethe stand allerdings mit Flöhen in gespanntem Verhältnis. Nach einer unruhigen Nacht auf seiner Schweizreise 1779 notierte er: »Ich lag kaum im Bette, so kam mir vor als wenn ich mit einer Nesselsucht befallen wäre; doch merkte ich bald, daß es ein großes Heer hüpfender Insekten war.«
Ihre penetrante Art, auf sich aufmerksam zu machen, hielt auch das Interesse der bildenden und angewandten Kunst an den Flöhen wach. – Vom Bologneser Maler Guiseppe Maria Crespi (1665-1747) sagt man, er verstehe es, durch Nutzung von Licht und Schatten, seinen Bildern hohe Ausdruckskraft zu verleihen. Eines von vielen Beispielen dafür sei das Gemälde »Eine Frau, die Flöhe sucht«. Die Ermitage in St. Petersburg besitzt es. Nachdem ich endlich den Saal 235 gefunden hatte … fand ich ihn »Zur Zeit geschlossen«. Mein Bedauern darüber bleibt.
Ich tröste mich mit einem Figürchen der Fürstenberger Porzellanmanufaktur. Zierlich, possierlich, sinnenfreudig steht es in einer Vitrine der Museumsräume. »Die Flohsucherin«. Ihre Ärmel hoch aufgekrempelt; Tisch, Stuhl und Wäschestücke um sich herum. Vorsichtig hält sie das Hemd weit ab vom Hals und guckt in den Ausschnitt hinein. Ich auch. Ihre wohlgeformte Brust ist zu sehen – und abwärts weiteres. Irgendwo dort unten sitzt der Floh. Die Manufaktur garantiert, daß er sichtbarlich am Unterbauch angebracht sei. Mir fehlt der entsprechende Einblickswinkel, um es nachzuprüfen.
Der Modelleur Anton Carl Luplau formte 1773 die kecke Idee aus. Weil der Künstler und auch das Publikum Gefallen daran fanden, bosselte er als Ergänzung eine »sich lausende Mannsfigur« dazu. Beide amüsanten Kleinplastiken gehören heute noch zum Fertigungsprogramm der bekannten Manufaktur. Die Preise – nun, ja …