von Hedi Schulitz
Eine Dichtung zum Adern öffnen – so der spanische Dichter Federico Garcia Lorca, als er versuchte, einem Freund den aktuellen Stand seiner lyrischen Arbeit zu erklären, woraus zu schließen ist, daß zumindest Lorcas Dichterdasein ihn oft genug an den Rand der Verzweiflung gebracht haben muß. In gleichem Atemzug aber riet er dem offenbar unter Depressionen leidenden Freund: »Du mußt heiter sein! Es ist eine Notwendigkeit, eine Pflicht heiter zu sein.« Es war charakteristisch für Garcia Lorca, Gegensätze und Widersprüche in seinem Wesen vereinen zu wollen. Sowohl Heiterkeit als auch Melancholie haben den Dichter sein Leben lang begleitet.
Ein Leben, das viel zu früh und außerdem gewaltsam und tragisch sein Ende fand: Im Alter von nur 38 Jahren wurde Federico Garcia Lorca am 19. August 1936 auf einer Straße in der Nähe von Granada erschossen. Kurz nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges war er von den Falangisten verhaftet und einige Tage gefangengehalten worden, ehe man ihn auf eine Straße laufen ließ und von hinten erschoß. Schon 1934 hatte er mit einer Zeichnung, die er mit Straße des Todes betitelte, vermutlich seine Ermordung vorausgesehen.
In keinem anderen Land, so heißt es in einem 1986 anläßlich seines fünfzigsten Todestages herausgegebenen Band, sei »ein Toter als Toter so lebendig« wie in Spanien. Für Garcia Lorca und seine heute ebenfalls sehr berühmten Künstlerfreunde Salvador Dalí und Luis Buñuel – um nur diese beiden Vertreter des Surrealismus zu nennen – scheint der Tod im Sinne von Zerstörung der einengenden Tradition sogar die Voraussetzung für künstlerisches Schaffen gewesen zu sein.
»Man muß alles zertrümmern, damit die Dogmen gereinigt werden und die Normen neu erbeben.«, heißt es in einem von Garcia Lorca verfaßten Prosatext. Doch ganz wortwörtlich hat er diese Meinung nicht vertreten, denn sonst hätte er wohl kaum einen so großen Erfolg mit seinen Zigeunerromanzen gehabt, die im Jahr 1928, als in der Kunstszene der Surrealismus seine Blütezeit erlebte, erschienen. Gleichsam über Nacht ist Lorca durch sie berühmt geworden und das, noch bevor Dalí und Buñuel diesen Bekanntheitsgrad erreicht hatten. Es mag eine gehörige Portion an Neid dabei gewesen sein, als sie ihm ihrerseits vorwarfen, er sei mit seiner Dichtung noch immer viel zu sehr mit der Tradition verhaftet. Doch Garcia Lorca hatte ganz bewußt die konventionelle Form der Romanzen gewählt. Gerade wegen ihrer vertrauten Form hoffte er, daß ihr Inhalt um so leichter wahrgenommen werde. Im Gegensatz zu seinen surrealistischen Freunden war er wohl doch darum bemüht, sich trotz allem verständlich auszudrücken.
Es ist auch für heutige Ohren eine Dichtung, die in erster Linie durch ihre Melodiösität besticht; ob sie allerdings dadurch für uns verständlicher geworden ist, bleibt fraglich. Sein Romanzenbuch liegt übrigens in einer neuen und meisterhaften Übertragung durch Martin von Koppenfels vor (Zigeunerromanzen, Gedichte in Spanisch und Deutsch, Suhrkamp 2002).
Weitaus bekannter ist Garcia Lorca bei uns als Dramatiker. Bernarda Albas Haus zum Beispiel ist ein Stück, das schon auf sehr vielen deutschen Bühnen gespielt worden ist. Am 3. September wurde es wieder im Theater an der Ruhr aufgeführt – in der Bearbeitung einer koreanischen Theatergruppe.
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