Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 30. Oktober 2006, Heft 22

Merkel, machtlos

von Max Hagebök

Es schleppt sich hin, das Berliner Deutschland. Obskure Gestalten sabbern sich am Land gesund und spintisieren ihrer Zuhörerschaft eine neue, bessere Welt zusammen. Schön gewandet in Worten, die jedem Diktator zur Ehre gereichen. Da werden Prämien für das gesundheitliche Wohlsein deklariert, und dem Bürger wird tief in die Tasche gegriffen. Da wird überall auf der Welt verteidigt, was das Sturmgewehr hergibt, und in den Bahnhofsbuchhandlungen stapeln sich Schriften der Krieger von anno dazumal. Da wundert es nicht, daß nach braunen Rattenfängern gerufen wird.
In dieser verkehrten Welt der Worte und des Daseins müht sich seit einem Jahr Frau Dr. Merkel, mit heilender Hand Wohlfeiles zu bewerkstelligen. Sie durcheilt nicht selbst erlebte Vergangenheiten und produziert Gefühlsduselei im Angesicht von Dingen, die nicht die Ihren waren. Zugleich flieht sie ihr Leben in der DDR. In diesem Spagat zwischen verweigerter und halluzinierter Zeit reklamiert sie politische Führung.
Doch ihre Geführten sind dünn gesät. Selbst die eigene Partei delektiert sich an ihren nie ausgesprochenen Machtworten, und die Landesfürsten streicheln sich die Wänste ihrer eigenen Macht. Um die Ossi-Frau ist Leere. Wenn sie Politik machen will, ist niemand da. Keiner spielt mit. Die politischen Scheußlichkeiten beschließen die Männerriegen der Koalition ohne diese Frau.
Und das Volk versteht das nur zu gut. Deshalb wird Angela Merkel persönlich bisher auch nicht in den Umfragen abgestraft. Ihre Partei verliert unbeirrt bei der Sonntagsfrage; aber an ihr klebt ein Gut-Mensch-Bonus.
Doch für die Medien ist der erste Lack ab. Die Journalisten schreiben sich selbst begeisternd die Finger wund, wenn die Machtkämpfe zwischen den Ministerpräsidenten der CDU und der CSU und der Kanzlerin durchsickern. Der subtile Krieg der SPD gegen jeden politischen Vorschlag der Union und deren Protagonisten schlägt in diese Koalition immer tiefere Wunden. Die neue Hymne der SPD wird – nach unbestätigten Angaben aus Berlin – von Beck, Müntefering und Konsorten gesungen. »So sehen Sieger aus« schallt es aus den Bundestagsbüros der SPD. Und der Schröder bekommt seine Vision aus der Wahlnacht bestätigt. Damals attestierte er dem Mädel, daß sie nie die Führung einer Regierung haben werde. Er behält recht.
Angela Merkel hat sich in die Lächerlichkeit gesiegt. Ihre gnadenlose Selbstüberschätzung macht sie nun zur außenpolitischen Hanswurstin. Für einen Handkuß und eine Grillwurst verspielte sie mit den Militäreinsätzen im Libanon die politische Mitgift. Gegen außenpolitische Weitsicht setzt sie militärisches Engagement. Die Terroristen werden dies zu schätzen wissen.
Ihre eigentliche Unfähigkeit bewies sie aber innenpolitisch. Bei den Verhandlungen um die Koalition ließ sie sich von Müntefering gnadenlos über den Tisch ziehen. Sie glaubte zwar, der SPD Ministerien überzuhelfen, die für die größten sozialen Sauereien zuständig seien. Doch sie hatte nicht bedacht, daß dies zugleich die Ministerien sind, die innenpolitisch über die entscheidenden Gestaltungsspielräume verfügen. Ob Finanzen oder Arbeit und Soziales, die Sozialdemokraten stehen wahlweise als Verteidiger der sozial Schwachen oder als Reformer da. Es ist in ihrer Hand, sich gegen die unmenschlichen Vorschläge der Union zu profilieren. Die SPD besitzt mehr politischen und vor allem massenwirksamen Spielraum, als sie ihn je als Kanzlerpartei gehabt hätte.
Was Angela Merkel nie begriffen hat, ist: Diese Ministerien, die auf Landesebene der politische Tod auf Raten sind (siehe Die Linke/PDS), erweisen sich gerade in der gegenwärtigen Konstellation auf der Bundesebene als ein Gottesgeschenk. Die SPD weiß vor der Union, ob die Musik, die sie bestellt, auch bezahlt werden kann. Mit diesem Vorsprung an Machtwissen läßt es sich wunderbar regieren.
Von Müntefering hört man, daß es ihm egal sei, wer unter ihm Kanzlerin ist. Und sollte Angela Merkel doch einmal Politik machen wollen, dann läßt er Struck von der Kette oder ruft in München an.