Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 16. Oktober 2006, Heft 21

Dumme Fragen

von Henryk Goldberg

Es lief ganz gut. Ich hatte die Fragen gestellt, er hatte sie beantwortet. Doch irgendwann mußte ich sie stellen, die eine Frage, die der Gesprächsatmosphäre nicht förderlich sein würde. Die schon hundertmal gestellte und hundertmal genervt abgewiesene Frage. Nur, das waren andere Zeitungen und andere Leser. Ich fragte Felix Ensslin also nach seiner Mutter, und wir hatten das Problem, atmosphärisch. Und ich hatte noch ein weiteres:
Ich verstand ihn. Ich sah mich mit seinen Augen und sah einen Medienfritzen, der die ewig gleiche Frage stellt, auf die es keine klare Antwort gibt. Und wenn es sie geben sollte, dann wird und muß der Sohn sich damit nicht die Brust aufreißen auf dem Markt.
Es ist eine ziemlich blöde Situation, wenn man einer Polemik konfrontiert ist und sich nur matt verteidigen kann, weil man sie versteht. Die Perspektive des Gegenüber einzunehmen hilft immer, eine Situation zu verstehen, indessen hilft es nicht immer, diese Situation auch zu bestehen.
Niemand hatte mich aufgefordert, diese Frage zu stellen; aber ich fand, sie gehöre in dieses Gespräch zu diesem Thema, und da wir nicht zwei Freunde beim Bier waren, sondern zwei Menschen, ein Regisseur, ein Journalist, bei der Berufsausübung, habe ich sie halt gestellt. Wir haben uns dann, mit professioneller Disziplin, noch irgendwie verständigt, aber schön war es nicht, für keinen.
Natürlich gibt es dumme Fragen. Es gibt sogar Fragen, die deutlich dümmer sind, als jede denkbare Antwort. Man muß als Journalist nicht einmal die Frau neben dem verunfallten Auto fragen, was sie denn nun empfinde als frisch gebackene Witwe, wo doch ihr Mann gerade, mein Beileid übrigens, den Brückenpfeiler leider nicht verfehlt habe. Es gibt auch unterhalb dieser Ebene peinliche Fragen, peinlich für den Frager.
In der DDR geriet man als Journalist relativ häufig in diese Situation. Wenn ein Kollege heute einen Menschen fragt, was er von den Verlautbarungen dieser oder jener Partei halte, dann ist das eine, wie man so sagt, ergebnisoffene Frage. Als Journalist in der DDR vermied man, wenn es sich irgend einrichten ließ, im zeitlichen Umfeld eines Parteitages oder eines ZK-Plenums Kulturmenschen zu interviewen. Denn in diesem Falle war der Journalist gehalten, eine Antwort mitzubringen, die erhellte, wie sehr, wie substantiell die richtungsweisenden Beschlüsse der Kreativität des Künstlers neue, ganz wichtige Impulse verliehen; es war so ein bißchen wie ein sozialistisches Damaskus-Erlebnis. Er wußte es, ich wußte es; ich habe gefragt, er hat geantwortet, und deswegen, auch deswegen, hat das alles funktioniert.
Ich habe in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts des vorigen Jahrtausends ein Praktikum bei einer Zeitung gemacht, die hieß Das Volk. Und mußte in Weimar die Mitglieder einer Brigade Thomas Müntzer fragen, was ihnen der Namenspatron bedeute. Ich interessierte mich nicht für Brigaden, die Brigade interessierte sich nicht für Helden, aber wir spielten das Spiel; sie sollten den Wettbewerb gewinnen, und ich wollte eine Stelle beim Volk, die ich dennoch nicht bekam.
So gesehen, das tröstet ein wenig, sind peinliche Fragen heute etwas unpeinlicher als einst: Wenigstens können die Leute antworten, was sie wollen, zum Beispiel, daß ich ihnen auf die Nerven gehe. Und daß sie das können, ist, so komisch es klingt, irgendwie hilfreich.