Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 24. Juli 2006, Heft 15

Grundgesetzliches

von Erhard Crome

Bush II, derzeit einer der unbeliebtesten Staatsmänner der Welt, wurde von Frau Merkel zu einem Besuch in ihren Wahlkreis eingeladen. Ältere Bürger gaben sich gelassen, das Weißstreichen von Kulturhaus und Bordsteinen sowie das Grünstreichen des Rasens kannten sie schon aus Walter Ulbrichts Zeiten. Bestimmte Rituale sind systemübergreifend.
Neu war allerdings das Demonstrationsproblem. Die Friedensbewegung, die Linkspartei.PDS und viele andere mehr hatten zu Demonstrationen in Stralsund aufgerufen. In der DDR gab es anläßlich von Staatsbesuchen, zumal des ersten Mannes der imperialen Vormacht, keine Gegendemonstrationen. Über diesen Unterschied allerdings müssen wir seit 1989 nicht ausdrücklich reden. Interessanter ist, wie die Gralshüter der Freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit dem Demonstrationsproblem umgingen. Die Ankündigung der Linkspartei-Minister aus Schwerin, sich an den Protesten zu beteiligen, weil Bush seit seiner Kriegspolitik im Irak ein »Verbrecher« ist, der »gemeinsam mit Saddam Hussein vor ein internationales Gericht gehört«, wie Vize-Ministerpräsident Methling sagte, führte zu Unruhe. SPD-Landesvorsitzender Backhaus, immerhin Methlings Ministerkollege, forderte Unterlassung. »Jeder Staatsgast aus einem demokratischen Land« sei willkommen.
Im Grundgesetz steht das anders. Dort heißt es im Art. 8 zur Versammlungsfreiheit: »Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.« Für »Versammlungen unter freiem Himmel«, was Demonstrationen in aller Regel sind, gelten Ausnahmen, die das Versammlungsgesetz regelt. Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind nur wegen »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit« möglich; der grundgesetzlich garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit ist jedoch höherrangig.
Was meint nun Till Backhaus? Kriegsverbrecher, die aus »einem demokratischen Land« kommen, sind »willkommen«? Im Grundgesetz gibt es keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit in bezug auf Staatsgäste, auch nicht, wenn diese von der Bundesregierung eingeladen und der Landesregierung anempfohlen wurden. Auch ist eine Erlaubnis des Landesvorsitzenden der SPD oder der CDU im Grundgesetz ausdrücklich nicht vorgesehen. Die CDU versuchte ihrerseits, die Teilnahme der PDS-Minister zu skandalieren, und nannte dies »eine absurde und in Deutschland einmalige Situation«. Praktisch heißt das: Die Inanspruchnahme von Verfassungsrechten bedarf der vorherigen Genehmigung durch die CDU. Ein recht seltsames Verhältnis zu einer freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung.
Solch Tun scheint derzeit aber um sich zu greifen. Die sozialdemokratisch-grüne Bundesregierung hatte unter Federführung des SPD-Innenministers Schily ein Luftsicherheitsgesetz fabriziert, das mit den Grünen wie mit der CDU/CSU abgestimmt war. Darin wurde der Abschuß von Passagiermaschinen, die in terroristischer Absicht verwendet werden, durch die Bundeswehr »geregelt«. Das Bundesverfassungsgericht befand im Februar, daß ein solches Morden gegen das Grundgesetz verstößt, weil es nicht Sache der Regierenden sei, über das Leben der einen zugunsten des Lebens anderer zu entscheiden.
Der zuständige Bundesminister für Verteidigung (gegen wen eigentlich?) betreibt jedoch weiter derartige Pläne zum Einsatz der Bundeswehr im Innern – es ist derselbe Franz Josef Jung, der in der Tradition aller Verteidigungsminister seit 1990 das Bombodrom in der Prignitz-Ruppiner Heide zurichten lassen will, entgegen dem ausdrücklichen Willen der Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg und der Bevölkerung, die gedacht hatte, daß mit der Wende auch das Ende jener Bombenübungen käme, die bis dahin Wehrmacht und Sowjetarmee unternommen hatten.
Bei Jung ist vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nun wieder von einer Änderung des Grundgesetzes die Rede, eifrig sekundiert vom Innenminister Schäuble und dessen bayerischem Amtskollegen Beckstein. Erst kürzlich betonte der FDP-Rechtspolitiker Burkhard Hirsch, der auch die Klage in Karlsruhe gegen das Luftsicherheitsgesetz mit eingereicht hatte: »Der Verteidigungsminister muß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts akzeptieren, daß die vorsätzliche Tötung Unschuldiger gegen Artikel 1 der Verfassung verstößt, der auch durch eine Verfassungsänderung nicht berührt werden kann.«
Es sind eigenartige Zeiten, in denen Konservative daran erinnert werden müssen, daß die Verfassung Geltung hat: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Das verteidigt man auch, indem man das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnimmt. Artikel 26 Grundgesetz verbietet übrigens die Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen und stellt sie unter Strafe. Insofern ist schon die Einladung des Bush II unter »Beihilfe« zu verbuchen. Aber hier wiederum gibt es Kontinuität von Schröder zu Merkel, letztens in Stralsund.