Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 24. Juli 2006, Heft 15

Die schlafende Lady

von Renate Hoffmann

Prähistorisch ist sie. Klein, auf zwei Handflächen bequem zu tragen, mollig, gleichwohl zierlich; üppig gerundet – doch in elegantem Schwung gerundet. Sie schlummert. Selbstvergessen in die Arme des Schlafes geglitten, ruht sie (in rechter stabiler Seitenlage) auf einer flachen Liegestatt. Man vermeint, ihren gleichmäßigen Atem zu hören.
Ach, was sind das für Hüften!, die sich unter dem leichten, am Saum plissierten Rock wölben. Bauchfalten, schwellend und unverhüllt, umschmeicheln einen winzigen Nabel. Über die wohlgeformte Brust legt sich der linke Arm, berührt den Ellbogen des rechten, und dieser winkelt hinauf zu einem Kopfpolster. Die Wange hineingeschmiegt, träumt hier die Lady ihre Träume. In dieser beneidenswerten Lage verharrt sie seit etwa 4500 Jahren – es mag auch noch einige Zeit länger sein.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hob man die Sleeping Lady in Paola (unweit der Tempelanlagen von Tarzien) aus der maltesischen Erde. Der Zufall wirkte mit. Beim Hausbau stießen Arbeiter auf eine unterirdische Begräbnisstätte – architektonisch von hohem Rang –, die vermutlich auch religiösen Zwecken diente. Nunmehr das Hypogaeum Hal Saflieni. Darinnen ruhte Jahrtausende hindurch, neben anderen bedeutsamen Funden, das dickliche Dämchen. Abbild einer Muttergottheit? Priesterin? Grabbeigabe? Sinnbild des Tempelschlafes, der Weisheit und göttliches Wissen vermitteln soll? Der Deutungen sind viele.
Als besondere Kostbarkeit der Frühgeschichte Maltas, erhielt die Schlafende Dame eine Exklusiv-Präsentation im Archäologischen Museum von Valletta; hochgesichert und dezent beleuchtet. Aus Tonerde gebrannt, bräunlich schimmernd – nur 12,20 Zentimeter im Ausmaß – schläft sie dort selig und unbeirrt weiter.