von Uwe Stelbrink
Bei diesem Buch empfehle ich, den vorletzten Beitrag zuerst zu lesen. Heinz Niemann untersucht Historisches und Aktuelles an Regierungsbeteiligungen von Sozialisten – in der deutschen Geschichte sowie in Frankreich und in Italien. Wohl wissend um Brisanz und Kompliziertheit der Fragestellung vergewissert er sich in der Geschichte – und stellt folgerichtig die Argumentation Rosa Luxemburgs vornan, die in dieser Frage, obwohl sonst gern identitätsstiftend in der Linkspartei einvernommen, dort nicht zitiert wird: »Während daher das Vordringen der Sozialdemokraten in die Volksvertretungen zur … Förderung der Sache des Proletariats führt, kann ihr Vordringen in die Regierungen nur Korruption und Verwirrung … zum Ergebnis haben. Die Vertreter der Arbeiterklasse können … nur in einem Falle in die bürgerliche Regierung treten: um sich ihrer gleichzeitig zu bemächtigen.« Diesen Satz und seine Konsequenzen im Hinterkopf kann man das Buch nun getrost von vorn weiterlesen.
Hans Modrow liefert ein problembewußtes Vorwort – wer Modrow kennt, muß annehmen, daß ihm ein Ehrenvorsitzender-Betreuer Roß und Reiter wieder aus dem Text gestrichen hat. Wort-, zitat- und – vor allem – fußnotengewaltig liefert Peter Kroh, einer der Herausgeber, die Vorlage, indem er die Debatte um das Mitregieren der PDS in der Landesregierung von MV ganz unromantisch auf die einfachste und älteste aller Fragen zurückführt: Qui bono? Wem nutzt die Regierungsbeteiligung der PDS? Ohne den Vorwurf des Populismus zu scheuen, fragt er nach der Lage und den Interessen der »kleinen Leute«. Und muß feststellen, daß die PDS deren Lage und Interessen zwar wie auf einem Schrein vor sich herträgt, in ihrer realen (Mit)Regierungspolitik ihnen aber nicht oder kaum Rechnung trägt. »Hartz IV realisiert eindeutig allein Interessen der Wirtschaftsbosse an Maximalprofit«. Jedoch: »Die PDS MV ist für und gegen Hartz IV. Zum einen sagt sie: ›Hartz IV ist Armut per Gesetz !‹ … zum anderen ist sie verantwortlich für die Umsetzung von Hartz IV… Ein ahumanes Gesetz rasch und präzise umsetzen zu wollen, das ähnelt wohl eher dem Entschluß des Arztes, den Patienten von Schmerzen in den Füßen zu befreien, indem er ihm die Unterschenkel amputiert.«
Kroh weist nach, wie Interessen der »kleinen Leute« allen möglichen politischen Intentionen geopfert und deren reale Lebensumstände gar nicht mehr wahrgenommen werden, jedenfalls nicht als Grundlage politischer Entscheidungen. Doch wenn er sich in Theoriekritik übt, vergaloppiert er sich – so, wenn er Chistoph Spehrs Arbeit Gleicher als andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation (Karl Dietz Verlag Berlin 2001) mit einer Anleitung zur Tagespolitik verwechselt und ihm die tatsächlichen Verhältnisse als Spiegel vorhalten will. Spehr versucht, Marx’ Begriff der freien Assoziation der Produzenten endlich eine neue theoretische Grundlage zu geben, die – das liegt in der Sache selbst – die Überwindung des privaten Eigentums (oder, um mit Dieter Klein und anderen »Reformern« zu sprechen, die Überwindung oder maßgebliche Einschränkung der privaten Verfügungsgewalt) voraussetzt. Kroh an anderer Stelle: »Wer es ablehnt, daß die Kapitalrendite zum Maß aller Dinge wird, der muß Mut und Kraft haben, die Spielregeln des Systems in Frage zu stellen. Wer die Spielregeln nicht in Frage stellen will, beläßt es dabei, dass die Kapitalrendite objektiver Dreh- und Angelpunkt bleibt.«
Wer sich in Minderheitsposition in die Regierung begibt, muß sich an die Spielregeln halten, hätte er hinzufügen können. In anderen Beiträgen des Buches werden verschiedene Aspekte der Politik der PDS in MV untersucht. Fast immer mit dem gleichen Ergebnis. Edeltraut Felfe und Georg Friedrich stellen in ihrem Beitrag fest: »Anzunehmen, daß Regierungsbeteiligung der PDS ein geeignetes Mittel wäre, den Turbokapitalismus zu stoppen, zeugt von Ignoranz oder einer völlig falschen Einschätzung der realen Machtverhältnisse in dieser Gesellschaft.« Wenn das so klar ist, weshalb setzt die PDS dann ihre Regierungsbeteiligungen fort? Aufschlußreich dazu ihre Beweisführung, die im Beitrag von Birgit Schwebs noch detaillierter geführt wird, daß Folge und Voraussetzung solcher Politik eine Einschränkung der innerparteilichen Demokratie ist – von bewußter Fehlinterpretation von Basisanträgen bis hin zur bewußten Ignoranz gegenüber Parteitagsbeschlüssen. Und daß sich andererseits im Zuge der Regierungsbeteiligung auch ein Meinungs- und Mehrheitswandel in der PDS in MV selbst vollzieht, bei der zumindest die Mandatsträger dem Pragmatismus ihrer Politiker folgen.
Im abschließenden Beitrag setzen sich drei der vier Herausgeber auch mit dem Totschlagargument auseinander, wenn die PDS sich nicht an der Regierung beteiligt hätte, so hätte die CDU die Regierung gestellt, und alles wäre noch schlimmer gekommen. »Welcher Unterschied besteht für die Benachteiligten und Ausgestoßenen darin, ob die CDU diese Politik macht, weil sie das will oder eine SPD/PDS-Koalition (z. T. etwas abgemildert), weil sie das muß? Wie groß sind dabei die im Lebensalltag spürbaren Unterschiede?« Und sie werfen die Frage auf nach den lähmenden Folgen des »kleineren Übels« für den Widerstand, die fatalen Folgen für außerparlamentarische Bewegungen, wenn die Linkspartei, die sich doch gern als deren Vertretung im Parlament sieht, zum Vollstrecker neoliberaler Politik wird.
Wie ein roter Faden geht durch fast alle der insgesamt dreizehn Beiträge und Interviews als Fazit die Feststellung, daß zum Zeitpunkt des Eintretens in die Regierung keine Voraussetzungen gegeben waren, um einen Politikwechsel einzuleiten und daß sich durch sieben Jahre Regierungsbeteiligung weder die Kräfteverhältnisse zugunsten der »kleinen Leute« verändern noch deren Lebensalltag verbessern oder erleichtern ließen. Bestenfalls werden kleine Teilerfolge auf einigen Politikfeldern vermeldet – die liegen aber vor allem im Gesetzgeberischen. Und es bleibt nicht verschwiegen, daß es die SPD gut versteht, Gesetze, die ihr vom Koalitionspartner PDS zuvor abgerungen wurden, durch praktische Politik – fehlende oder zu geringe Finanzausstattung, konträres Verwaltungshandeln – in ihren Wirkungen zu blockieren.
Erweitert wird das Thema MV durch eine Polemik von Bernd Krause zum Magdeburger Tolerierungsmodell, deren Untertitel, entlehnt bei Tucholsky, eigentlich alles sagt: Wir dachten, wir wären an der Macht, dabei stellten wir nicht einmal die Regierung, und einen kritischen, durch seine Sachlichkeit noch schärfer wirkenden Beitrag (Ellen Brombacher und Carsten Schulz) zur Politik der PDS im rosa-roten Berliner Senat.
Das Buch kann jedem, der sich nicht nur über die Politik der Regierungsbeteiligungen der Linkspartei beklagen, sondern detailliert über Ursachen und Folgen informiert sein will, nur empfohlen werden. Das Besondere dieses Buches liegt darin, daß die Kritik vor allem aus den Reihen von Parlamentariern der Linkspartei, von jetzigen oder ehemaligen Funktionsträgern, von Mitarbeitern der Fraktion oder einzelner Abgeordneter geführt wird. Schärfer und zugleich fundierter alle Politikfelder beleuchtend, fand sich solcherlei Kritik bisher nicht. Zugleich wird deutlich, daß sich die Kritiker des voraussetzungslosen Pragmatismus und Opportunismus ihrer Parteiführung(en) zumindest derzeit in hoffnungsloser Minderheit befinden.
Es mag auch am Eingebundensein der Autoren in die Strukturen ihrer Partei liegen, daß sie an keinem Punkt den Blick über den Tellerrand heben und nach anderen Akteuren im Widerstand gegen den Turbokapitalismus Ausschau halten – wenn, dann bestenfalls als »Bündnispartner« für eine andere PDS.
Statt dessen treten die Autoren für eine Linkspartei.PDS ein, die ihrem vollen Namen wieder gerecht wird: Partei des demokratischen SOZIALISMUS. Man muß ihre Fixierung auf diese, schließlich »ihre« Partei nicht (mehr) teilen, um ihnen dennoch, und sei es im Namen der »kleinen Leute«, Erfolg zu wünschen.
Edeltraut Felfe, Peter Kroh, Erwin Kischel, Marko Fest (Hrsg.): Warum? Für wen? Wohin? 7 Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung, GNN Verlag Schkeuditz, 343 Seiten, 15 Euro
Schlagwörter: Uwe Stelbrink