von André Hagel
Krämerseelen ist historische Erinnerung suspekt. Sie rechnet sich nicht. Sie läßt sich nicht berechnen. Sie führt Schande und Versagen vor Augen, formuliert einen ethischen Anspruch auf Dauer und läßt so den Schlußstrich nicht zu, der es erlauben würde, wieder sorglos den Tagesgeschäften nachzugehen – ungetrübt von allem, was war. Sie zahlt sich nicht aus in einer Münze, die in der Registrierkasse klingelt. Vor allem nicht in einer Kasse, die so leer zu werden droht, wie es das eigene geschichtliche und moralische Gefühl bereits ist.
Die westfälische Provinzmetropole Münster bietet seit dem Jahreswechsel ein Lehrstück par excellence dafür, was geschieht, wenn in einer Kommune, die sich ausdrücklich als Friedens-, Toleranz- und Kulturstadt versteht, Krämerseelen die städtischen Geschicke lenken. Nicht, daß die finanzielle Situation der 281000-Einwohner-Kommune nicht brenzlig wäre: Im städtischen Haushalt gähnt plötzlich ein 22-Millionen-Euro-Loch, sorgt für einen allgemeinen Aufschrei, nachdem Warner vor einem drohenden Haushaltssicherungskonzept lange Zeit mit nachsichtigem Spott bedacht wurden. Angesichts der schmerzenden Rißstelle im Stadtsäckel hat die Mehrheitsfraktion der CDU allerdings nichts besseres zu tun, als die Sparschraube an einer Institution geradezu brachial anzusetzen, die in ihrer Art einmalig in Deutschland ist: am Geschichtsort Villa ten Hompel.
Die Villa ten Hompel, ein auf vollkommen unverdächtige Weise schmuc kes Gebäude im Herzen Münsters, beherbergte von 1940 bis 1945 den regionalen Befehlshaber der NS-Ordnungspolizei. Vierzig Mitarbeiter koordinierten von hier aus den Einsatz von 200000 Ordnungskräften. Es war nicht zuletzt diese Behörde, die in Westfalen mit ihren Erlassen, Befehlen und Handlungen erheblich zum Völkermord an Juden, Sinti und Roma beitrug. Seit 1999 dient die ehemalige Fabrikantenvilla als Institut der wissenschaftlichen Aufarbeitung bislang nicht belichteter Aspekte regionaler NS-Geschichte.
Die Dauerausstellung Im Auftrag widmet sich der Polizei als dem ausführenden Organ der NS-Vernichtungspolitik und spürt dem allgemeinen Leugnen dieser Rolle nach 1945 nach. Einen Forschungsschwerpunkt des von der Stadt Münster unterhaltenen Geschichtsortes Villa ten Hompel bildet unter anderem die wirtschaftliche Ausplünderung jüdischer Bürger durch die westfälische Finanzverwaltung ab 1933. Die Forschungsergebnisse der Villa ten Hompel, die nachweisen, wie eng im Dritten Reich Finanz- und Zollbehörden mit Banken und Versicherungen zusammenarbeiteten, um Juden etwa vor der Emigration finanziell auszupressen, haben weithin für große Resonanz gesorgt, nicht nur in Fachkreisen. Wöchentliche Projekttage für Schulklassen und andere Veranstaltungen haben die Villa ten Hompel als einen Ort des geschichtlichen Lernens etabliert, in dessen Mauern mitunter auch unbequeme Fragen zur heutigen deutschen Alltagsrealität gestellt werden. Fragen etwa zur Verantwortung von Asyl-Entscheidern im deutschen Verwaltungsbetrieb.
280 000 Euro beträgt der jährliche städtische Zuschuß zum Institutsbetrieb. Die Summe bildet den Jahresetat der Villa ten Hompel. Die Existenz des Geschichtsortes steht nun auf der Kippe, seit mit dem Jahreswechsel in der CDU-Fraktion Münster mehr als nur laut darüber nachgedacht wird, angesichts der finanziellen Situation der Stadt die Gelder für das Institut zu streichen. Münsters Konservative haben aus ihrer Abneigung gegenüber der renommierten Forschungs- und Gedenkinstitution nie ein Hehl gemacht. Jetzt scheint die Zeit reif für ein Roll back. Wie es aus der örtlichen Fraktion der Christdemokraten heißt, zeichnet sich für diesen Vorstoß bereits eine Mehrheit ab. Schwanengesang.
Die Sparschraube als Instrument geschichtlicher Entsorgung: Noch unlängst zählte die Villa ten Hompel zu jenen beispielhaften Institutionen, die im Rahmen der Bewerbung Münsters zur Europäischen Kulturhauptstadt 2010 hervorgehoben wurden. Die Nominierung blieb aus – jetzt will die Mehrheitsfraktion abwickeln. Den Geschichtsort. Und mit ihm zwangsläufig die lebendige Erinnerung an die Nazi-Barbarei in Westfalen und Münster. Kommunale Kulturpolitik als praktizierte Geschichtsvergessenheit? Mit dem Sparzwang können Krämerseelen alles rechtfertigen. Sogar den Ausstieg aus dem Erinnern.
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