Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 20. Februar 2006, Heft 4

Die neue Eiszeit

von Max Hagebök

Heute sprach Frau Merkel in den Nachrichten. Eigentlich habe ich meine politischen Ambitionen schon vor langer Zeit aufgegeben. Doch trotzdem hörte ich dieser Frau zu – und sie änderte meine Lebensplanung. Sie will mich verarmen, töten und belehren. Nieder mit der Menschlichkeit, mit dem Frieden und mit der Freiheit. Diese Flagge steigt zusammen mit dem Deutschlandlied auf, und die Demokratie wird an den Haken gehängt.
So hatte ich mir das mit der neuen Welt nach 1989 nicht gedacht. Obwohl ich den jubelnden Rechthabern nicht recht traute, habe ich mich oft bei ihnen für meine Blindheit in der DDR entschuldigt. Doch jetzt ist die Zeit gekommen, daß sie sich bei mir entschuldigen. Ihre Welt ist nicht die gute.
Mit der neuen politischen Klasse einer Merkel oder eines Müntefering ist der letzte Rauch der Freudenfeuer demokratischer Bewegungen verflogen. Es ist kalt geworden. Die wenigen Getreuen der Bürgerrechtler von 1989 sitzen verbittert in den Wohnungen und verzweifeln an den Bündnispartnern von ehemals. Sie sollten endlich verstehen, daß die DDR ein Teil eines undemokratischen Weltganzen war. Kein Einzelfall. Für diese bittere Wahrheit sei Angela Merkel Dank. Ihre Politik kommt frei von irgendwelchen Masken daher. Sie verbirgt nicht hinter Phrasen, was sie will.
Die Rolle rückwärts in der Außenpolitik kann jeder miterleben; da bleibt gar kein Platz für Deutungen. Diese Frau will den Krieg wieder hoffähig machen. Ihr Vasallentum gegenüber den Machtspielen der USA und der NATO bringt uns Schritt für Schritt kriegerischen Lösungen näher. Dumm nur, daß in den Medien nicht begriffen wurde, daß die Zeiten, als das gesprochene Wort nicht der Wahrheit entsprach, mit Angela Merkel beendet worden sind. Statt aufzuklären, versuchen sie, in ihren Worten einen tieferen Sinn zu finden – den es gar nicht gibt. Angela Merkels Angriffe auf die Atompolitik des Iran sind nicht doppeldeutig. Ohne jeden Beweis für iranische Bomben schürt sie den Haß. Die europäische Einigung wird zu einer Randerscheinung degradiert. Angela Merkel verlangt, daß die NATO zum politischen und militärischen Zentrum für Einsätze überall auf der Welt gemacht wird. Sie macht konsequent dort weiter, wo die Grünen und die SPD aufhören mußten.
Die militante Politik gegenüber dem Ausland, soweit nicht befreundet, setzt sie auch im Inland um. Mit einer sozial völlig enthemmten SPD wird weggeschossen, was den Hauch von sozialer Gestaltung hat. Die Rolle rückwärts knechtet den, der seinen Unterhalt verdienen muß. Ein Ackermann ist kein Einzelfall, er ist das System. Und dieses System wird durch Müntefering und Merkel gepuscht und verteidigt. Deshalb wird ein Schäuble mit seinen bürgerkriegerischen Wahnträumen nicht weggesperrt. Er darf und er muß nach der Bundeswehr für innere Angelegenheiten rufen.
Es zieht sich eine Militarisierung durch unser Leben. Kleine blonde Fernsehfrauchens dürfen Soldat spielen, und RTL macht eine Serie daraus. Was in der DDR plump daherkam, wird jetzt filigran umgesetzt. Angela Merkel ist Kanzlerin geworden, weil sie die eindimensionalste Figur in diesem neuen Spiel war. Sie trottet mit. Daß Müntefering die Verordnung von Altersarmut allein durchzieht, zeigt das politische Gewicht Angela Merkels. Für eine Weile werden die Medien noch nach der wahren Merkel fahnden – bis sie eines Tages merken, daß sie der wahren Merkel treu waren.