Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 21. November 2005, Heft 24

Matthias Platzeck

von Sibylle Sechtem

Matthias Platzeck soll die SPD retten. Als neuer, hoffnungsvoller Parteivorsitzender. Allüberall wird ihm zugetraut, dies auch zu können. Aber eigenartig: Niemand weiß eigentlich, warum. Irgendwie hat er sie alle bezirzt, der »Deichgraf« von der Oderflut 1997, mit seinem Lächeln und dem »Wir-werden-es-schon-schaffen«-Blick. Sogar der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky, der es aus fünfzehn Jahren Opposition im Brandenburger Landtag doch eigentlich besser wissen müßte, sieht in ihm eine »geeignete Persönlichkeit für dieses Amt« – um ein paar Zeilen später den seltsamen Satz nachzuschieben: »Was er inhaltlich machen will, ist für mich nicht erkennbar.« Dabei sind die Linien viel klarer, als es scheint. Matthias Platzeck ist ein ganz und gar der neoliberalen Politik verschriebener »Macher«, und unter seiner Führung wird sich die SPD noch stärker als bisher im von oben geführten Klassenkampf auf die Seite des »Oben« schlagen.
Gewiß, an der Wiege gesungen wurde ihm seine heutige Karriere nicht: Geboren 1953 in der DDR, entwickelte er sich mit einem bereits in der 7. Klasse beginnenden Eliteschulbesuch in Kleinmachnow über Abitur, NVA-Wehrdienst und Studium der biomedizinischen Kybernetik zu einem hochqualifizierten Kader, der dem sozialistischen Staat parallel zu seiner Tätigkeit als Abteilungsleiter Umwelthygiene der Hygieneinspektion Potsdam in den achtziger Jahren auch noch ein postgraduales Studium an der Akademie für Ärztliche Fortbildung in Berlin wert war. Im April 1988 begann er, sich in oppositionellen Bewegungen in Potsdam einen Namen zu machen: in der AG Pfingstberg und der Bürgerinitiative ARGUS. Im November 1989 wurde er Mitbegründer der Grünen Liga.
Und da begann, was getrost als zielbewußter Weg zur Macht beschrieben werden darf. Als Sprecher der Grünen Liga saß er im Februar 1990 am Zentralen Runden Tisch der DDR und von Februar bis April 1990 als Minister ohne Geschäftsbereich in der Modrow-Regierung. Im November 1990 wurde er als Bündnis90-Mitglied Umweltminister in der von Manfred Stolpe geführten ersten Regierung des Landes Brandenburg – einer »Ampel«-Koalition –, 1994 erneut Umweltminister – nun als Parteiloser in einer erneut von Stolpe geführten SPD-Regierung –, 1998 Potsdamer Oberbürgermeister und 2002 Ministerpräsident.
Womit gesagt ist: Platzeck trägt Mitverantwortung für all jene Fehlentwicklungen und Pleiten, die Brandenburgs Weg in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten ausmachen. Die mißlungene Vereinigung mit Berlin zu einem gemeinsamen Bundesland 1996; die unendliche, hunderte Millionen an Steuergeldern verschlingende Geschichte des noch immer in den Sternen stehenden Großflughafens; die Pleiten mit den steuerfinanzierten Großprojekten Chipfabrik, Lausitzring und Luftschiffwerft; die hinteren Plätze bei den PISA-Studien; die allem Umweltschutz hohnsprechende Fortsetzung des Braunkohleabbaus in der Lausitz; die Abkopplung der Randregionen des Landes vom Speckgürtel um Berlin; die dramatische Überschuldung des Landes – Platzeck hat ebensowenig wie sein Ziehvater Stolpe ein Ohr gehabt für die vielen warnenden Stimmen, die in jedem dieser Fälle immer wieder laut geworden sind.
Selbstkritischer Rückblick? Fehlanzeige. Mit Opposition hat Platzeck seit dem Untergang der DDR nichts mehr im Sinn gehabt. Der Zusammenschluß von Bündnis90 mit den westdeutschen Grünen im Jahre 1993 paßte ihm nicht ins Konzept. So wurde er 1995 Mitglied der SPD, 1998 Mitglied des brandenburgischen Landesvorstandes und im Jahre 2000 SPD-Landesvorsitzender.
1997, beim Oderhochwasser, schlug Platzecks Sternstunde als »Mann der Tat«. Unvergessen die Bilder, da er in Gummistiefeln an der Verstärkung der Oderdeiche mitbaute. Es entstand eine Volksnähe, die ihm bis heute zugute kommt. Ihn, den »Deichgraf«, fragt man einfach nicht nach Bilanz und Programm – er ist ja so »nett«.
Und diese Nettigkeit macht ihn zu einem idealen Vormann für alle diejenigen, die schon lange glauben, die sozialstaats- und demokratiezerstörenden Programme Hartz IV und Agenda 2010 müßten nur besser »rübergebracht« werden. Das kann er, »der Matthias« – die Scheußlichkeiten gut »rüberbringen«. Und Niederlagen als Erfolge verkaufen, das kann er auch. Mit gerade mal 32 Prozent der Stimmen hat die Brandenburger SPD ihren Landtagswahlkampf 2004 gewonnen – das waren acht Prozentpunkte weniger als 1999 und 22 weniger als 1994. Aber egal: Triumph, Triumph!, verkündete des Landes beliebtester Politiker.
Gern läßt sich Matthias Platzeck – wie es Art von »Machern« ist – das »Unideologische« seines Tuns bestätigen. Und natürlich ist auch in seinem Falle das »Unideologische« blanke Ideologie. Kein Wort des Protestes war von ihm zu hören, als Stolpe 1999 die beliebte Sozialministerin Regine Hildebrandt opferte, um freie Bahn für eine Große Koalition mit CDU-Rechtsaußen Jörg Schönbohm zu haben. Klipp und klar verkündete Platzeck 2004, daß er die Koalition mit selbigem Schönbohm fortsetzen werde, weil nun einmal auf diese Weise sozialdemokratische Politik »besser« verwirklicht werden könne als mit jedem anderen – obwohl die PDS mit mehr als 28 Prozent der Stimmen weit vor der auf knapp zwanzig Prozent abgesackten CDU angekommen war. Im Herbst 2004 verlor er im Landtag alle Contenance, als die 25jährige PDS-Abgeordnete Carolin Steinmetzer wagte, ihre ersten zehn Lebensjahre, die sie noch in der DDR verbracht hatte, als »glücklich« zu bezeichnen. Aber beide Augen drückte er zu, als im Sommer 2005 Koalitionspartner Schönbohm die tragischen Kindstötungen in einem brandenburgischen Dorf zum geradezu zwingenden Resultat der »Proletarisierung« der DDR-Landbevölkerung hochstilisierte.
In der Zeitschrift Berliner Republik hat Platzeck im Jahre 2004 sein Programm ausgebreitet. Es kommt freundlich daher wie alles, was er sagt, ist aber im Grundsatz von unmißverständlicher Härte. Mit dem »Ende der Nachwendezeit im Osten Deutschlands« habe, so schreibt er, »im Westen der Republik« eine »neue ›Wendezeit‹ begonnen«. Die »etablierten Institutionen und Verfahren« erwiesen sich als »zu schwerfällig, um den Bedürfnissen einer Gesellschaft im Umbruch gerecht zu werden«. Es brauche daher auch im Westen die »Einsicht in die Notwendigkeit«, und diese »Notwendigkeit« besteht für ihn in nichts anderem als der Agenda 2010.
Das also soll die Rettung der Sozialdemokratie werden.